Buchkritik

Jill Lepore – Die geheime Geschichte von Wonder Woman

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AUTOR/IN
Brigitte Neumann

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William Moulton Marston hielt Feminismus für die Superkraft, die Kriege beenden und den Faschismus niederringen kann. Deshalb erfand der Psychologe 1941 Wonder Woman, eine Comic-Superheldin. Die US-Historikerin Jill Lepore über die Hintergründe: "Die geheime Geschichte von Wonder Woman".
Rezension von Brigitte Neumann.

Aus dem Englischen von Werner Roller
C.H. Beck Verlag, 552 Seiten, 29,95 Euro
ISBN 978-3-406-78455-2

Kriegerische Zeiten wie diese rufen förmlich nach Helden. Nur sind wir da aus der Übung. Erinnern wir uns also: Superman, Batman und Wonder Woman, die Comic-Helden der dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden angesichts der faschistischen Bedrohung.

Wonder Woman war ein Spezialfall. Erfunden von einem Psychologen, der in Harvard promoviert hatte, sollte die Amazone Krieg und Faschismus mit feministischen Mitteln besiegen – mit ihrer übermenschlichen Kraft, die sie zum Beispiel gegen die schlechte Behandlung von Frauen einsetzte, etwa mittels Lasso, das den Eingefangenen zwingt, die Wahrheit zu sagen.

William Moulton Marston verstand sich selbst als Feminist, hatte eine Studienkollegin geheiratet und mit der Tochter der damals prominenten Frauenrechtlerin Ethel Olive ein Verhältnis. Hinzu kamen noch Huntley, eine dritte Geliebte und mit der Zeit vier Kinder. Diese Gemeinschaft lebte zwar unter einem Dach, aber alles war streng geheim. Die Diskretion im Hause Marston macht denn auch der Autorin Jill Lepore zu schaffen, denn sie ging so weit, dass selbst den Kindern verheimlicht wurde, dass William der Vater aller war.

Laut Jill Lepore war der Erfinder von Wonder Woman selbst kein Held und meist auch kein Feminist. Während er viele Jahre lang arbeitslos und wohl auch depressiv war, ernährte seine Gattin Holloway die Familie mit ihrem Job als Sekretärin. Olive, seine Geliebte Nr. 1, machte den Haushalt und erzog die Kinder. Über Geliebte Nr. 2 ist wenig bekannt, außer dass sie ein unstetes Leben führte und im Gästezimmer lebte.

Aber laut Lepore versuchte Marston immer wieder, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Während einer von ihm einberufenen Pressekonferenz im Harvard Club von New York gab er 1937 die Devise aus „Frauen werden die Welt regieren“. Viele Zeitungen schrieben darüber. So wurde der Comicverleger Charles Gaines auf Marston aufmerksam. Gaines Problem war das schlechte Image der Superman-Hefte. Und Marston hatte sofort eine zündende Idee: Wie wäre es mit einer friedliebenden Superfrau als Heldin?

Er nahm die Sache gleich selbst in die Hand und schrieb die Geschichte von Wonder Woman. Allerdings fielen die heftigen Fesselungs- und Auspeitsch-Szenen im Comic-Strip auf. Das reich bebilderte Buch von Jill Lepore zeigt einige davon. Als Verleger Gaines um eine Verringerung der Bondage-Einlagen bat, ließ Marston ihn in einem Brief wissen:

„Das Geheimnis der Anziehungskraft der Frau liegt darin, dass Frauen die Unterwerfung genießen – das Gebundensein. (…) Die Kriege werden erst aufhören, wenn die Menschen es genießen, gebunden zu sein.“

Jill Lepore kommentiert die schrägen Thesen Marstons höchstens andeutungsweise, indem sie ihre Leser spüren lässt, dass er ihr unsympathisch ist. Ihre Einordnung wäre an dieser Stelle allerdings schon angebracht gewesen. Aber die Autorin scheint zu hoffen, dass ihre Leser ganz autonom schon die richtigen Schlüsse aus den Zitaten ziehen werden.

Die Recherche Jill Lepores, die sie in diesem Buch zusammenträgt, versammelt insgesamt viel Nebensächliches. Der rote Faden geht dabei manchmal verloren.

Sehr gut gelungen ist Jill Lepore hingegen die ambivalente Zeichnung der Haupt-Charaktere. Die Suffragetten kämpften nicht immer solidarisch für die Sache der Frau, sondern in Konkurrenz zueinander jede für den besten Platz in den Geschichtsbüchern.

Der selbsterklärte Feminist Marston traute den Frauen zwar die Weltherrschaft zu, lebte zuhause aber wie ein Parasit, geliebt, bekocht und finanziell versorgt. In einer ihrer wenigen Meinungs- Äußerungen beschwert sich Jill Lepore, Marston hätte mit seinen Wonder Woman-Heften Feminismus zum Fetisch gemacht.

Das erste Heft erschien bei Kriegseintritt der USA im Jahr 1941. Drei Jahre später hatte Wonder Woman bereits 10 Millionen Leserinnen und Leser. Marston verdiente das erste Mal in seinem Leben wirklich gut, schreibt Lepore. Noch einmal drei Jahre später starb er mit nur 54 Jahren. Wonder Woman gibt es immer noch. Sie wäre heute 81. Die spannende Frage ist nun: wird sie Putin mit dem Lasso einfangen und ihn im russischen Staatsfernsehen die Wahrheit sagen lassen?

(Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.)

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Brigitte Neumann