Buchkritik

Jennifer Nansubuga Makumbi – Die erste Frau

Stand
AUTOR/IN
Sonja Hartl

Wie passen ugandische Traditionen und modernes Erzählen zusammen? Jennifer Nansubuga Makumbi greift in ihrem Roman „Die erste Frau“ traditionelle Mythen und Märchen auf, um mitreißend vom Erwachsenwerden der Teenagerin Kirabo in Uganda in den 1970er Jahren zu erzählen. Und macht zugleich sehr deutlich, dass Feminismus keine Erfindung des Westens ist. Ein Besuch bei der Autorin, die augenblicklich als DAAD-Stipendiatin in Berlin lebt.

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Ein Jugendstilhaus in Berlin-Schöneberg. Hier wohnt die Schriftstellerin Jennifer Nansubuga Makumbi. Geboren in Uganda ist sie augenblicklich mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin.

Ihre geräumige Wohnung ist fast ganz oben, vom Flur gehen alle Räume ab. Sie macht mir einen Tee, dann setzen wir uns an einen Tisch im Arbeitszimmer, direkt vorm Fenster. Als Tischdecke fungiert eine Leso, auch Kanga genannt: ein buntes Tuch, das im Osten Afrikas sehr populär ist.

Jennnifer Nansubuga Makumbi:
Das ist ein sehr fleißiges Stück Stoff. Wenn man schwanger ist, trägt man z.B. eine Leso bei sich, denn es könnte ja passieren, dass die Wehen einsetzen, während man gerade auf der Straße läuft. Das Erste, was andere Frauen dann tun, ist, einen Kreis um dich zu bilden und so eine Kanga um dich zu legen. Oder Frauen können auch mal "Missgeschicke" bei der Menstruation haben. Aber egal wo das passiert, eine Frau sagt: "Hey" und gibt dir eine Kanga und du wickelst sie um dich. Frauen haben da alle möglichen Strategien entwickelt.

Die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper ist auch ein zentrales Thema in Jennifer Makumbis Roman „Die erste Frau“. Ihre Hauptfigur ist die zwölfjährige Kirabo, die im Uganda der 1970er Jahre bei ihren Großeltern auf dem Land lebt und später ein Internat besuchen wird. Kirabo hat zwei Probleme:

Jennifer Nansubuga Makumbi:
Sie weiß nicht, wer ihre Mutter ist, und ihre Familie will es ihr nicht erzählen. Und wenn sie sich bedrängt fühlt, fühlt es sich an, als würde sie ihren Körper verlassen.

„Kirabo hatte es nicht kommen sehen. Ein Blinzeln, und ihr böses Selbst war aus ihrem Körper in den Raum aufgestiegen. Sie flatterte von Wand zu Wand, verloren wie ein neugeborener Geist. Sie flog mit geschlossenen Augen, weil die Gefühle zu stark waren. Sie kreiste und flitzte eine ganze Zeit lang, ihr Verstand wetterte gegen diesen schmutzigen Körper, vor dem Menschen ausspuckten.“ (aus: Die erste Frau)

Sobald Kirabo sich bedrängt oder eingeengt fühlt, beginnt sie zu fliegen – gegen ihren Willen.. Hilfe und Rat sucht Kirabo bei der Dorfhexe Nsuuta. Bevor sie Kirabo das Fliegen austreibt, wird sie sie – und mit ihr die Leser*innen – in Legenden und Märchen rund um Weiblichkeit und Frausein unterweisen. Sie will Kirabo überzeugen, dass das Fliegen eine Gabe und kein Fluch ist – es ist Kirabos Rebellion gegen die vielen einengenden Verhaltensregeln für Mädchen.

Jennifer Nansubuga Makumbi:
Sie ist so begierig auf die Welt, dass sie das Gefühl hat, das Leben sei ungerecht zu ihr, weil die Dinge, die ihr als Mädchen widerfahren, nicht den Jungen widerfahren. Aber sie ist bereit, die Regeln zu brechen, solange sie dafür keinen Ärger bekommt. Sie ist also neugierig. Sie ist eine Kämpferin.

Das passt zu Makumbi: sie ist Feministin und wollte mit diesem Buch von den Frauen und Mädchen in Uganda zur Zeit des Diktators Idi Amin erzählen, dessen Tyrannei sich auch in dem Alltag einer Jugendlichen zeigt.

Tante Abi hatte auch eine Jeans besorgt. Kirabo (Aussprache: Tschirabo) hob sie auf und warf ihrer Tante einen Blick zu, der sagte: Wo werd ich bitte Hosen tragen?
»Probier sie an«, sagte Tante Abi. »Wir sind drinnen, niemand wird es sehen.« Als Kirabo sie anzog, kamen aus dem Nichts Rundungen zum Vorschein. Die dürren Beine waren verschwunden.
»Ich wusste es; du bist für Hosen gebaut. Möge Idi Amin eines grausamen Todes sterben dafür, dass er sie verbannt hat.«
(aus: Die erste Frau)

Makumbi schreibt engagiert und humorvoll – und genauso tritt sie auch auf. Sie will den gängigen Stereotypen über Afrika etwas entgegensetzen – sei es dass alle Kinder arm sind; Kirabo ist es nicht. Kirabos Freund Sio ist vielleicht sogar fast schon ein wenig zu aufgeklärt, um noch in die 1970er Jahre zu passen. Dieser Zeitraum ist wichtig, auch für Makumbi, die damals selbst ein Kind war. 1975 kam durch die Weltfrauenkonferenz in Mexiko der westliche Feminismus in Uganda an.

Jennifer Nansubuga Makumbi:
Er hat all die aufkeimenden Ideen des indigenen Feminismus weggenommen - und ich gehe nun zurück, um sie wiederzufinden. Der westliche Feminismus passte nicht zu meiner Kultur. Wir brauchen etwas Eigenes, um der ganz eigenen Art und Weise zu begegnen, wie Frauen bei uns unterdrückt werden.

Der Vergleich zwischen westlichem und indigenem Feminismus ist eine große Stärke des Romans. Er fordert regelrecht dazu auf, eigene Positionen und Konzeptionen zu hinterfragen: Beispielsweise plante Nsuuta, sich einen Ehemann mit ihrer besten Freundin zu teilen, weil das ihr mehr Freiraum gegeben hätte. Die patriarchale Einrichtung der Vielehe ist hier ein Ausweg aus der zu engen Zweier-Ehe. Ohnehin spielt die Auseinandersetzung mit Traditionen eine wichtige Rolle in Makumbis Schreiben.

Jennifer Nansubuga Makumbi:
Als ich an die Universität kam, um Literatur zu studierten, beschäftigten wir uns mit unseren mündlichen Traditionen. Wir gingen zurück zu diesen Geschichten unserer Kindheit. Im Laufe des Kurses wurde uns klar, dass diese Texte verschlüsselt sind und man sie entschlüsseln muss. Als ich dann anfing, Romane zu schreiben, war es unglaublich: Für alles konnte ich eine Entsprechung in unseren mündlichen Überlieferungen finden. Sie unterstützten mein Schreiben, bildeten so etwas wie ein Gerüst für meine Geschichten.

Dieses Gerüst für die eigenen Geschichten wird verstärkt durch Makumbis Interesse für Literatur aus dem afrikanischen Kontinent. In ihrem Zimmer steht in der Ecke ein Bücherregal – sie ist gerade von einer Konferenz in Nigeria zurück und hat von dort neue Bücher mitgebracht.

Jennifer Nansubuga Makumbi:
„Call and Response“ – das ist aus Botswana, das ist aufregend, weil von dort nicht so viel kommt. Sas ist die African Writers Series. Immer wenn ich irgendwo einen Titel aus der Reihe finde, kaufe ich ihn. Diese Bücher haben afrikanische Literatur bekannt gemacht.

Von 1962 bis 2003 ist die African Writers Series in London erschienen, viele Autor*innen sind durch sie bekannt geworden. Dennoch stößt Makumbi weiterhin auf das Vorurteil, Geschichten, die zu sehr in „afrikanischen" Traditionen verhaftet sind, sprächen ein westliches Lesepublikum nicht an. Makumbis Stil indes macht genau diese Anbindung einer modernen Geschichte an Mythen und traditionelle Erzählweisen aus – durch ihren Humor, ihren feministischen Blickwinkel entsteht ein eigener, ein originärer Ton.

Sicherlich setzt die Lektüre ein wenig Geduld, Offenheit und Neugier voraus: auf Ursprungserzählungen, in denen es nicht um Adam und Eva, sondern Kintu und Nnambi geht, auf Märchen von Flussgeistern. Der Effekt ist: Horizonterweiterung. Und eine mitreißende Coming-of-Age-Geschichte mit einer unwiderstehlichen Protagonistin bekommt man noch dazu.

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Sonja Hartl