Gespräch

Debatte um Walser-Nachrufe: Kontinuität der Holocaust-Relativierung in Deutschland

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AUTOR/IN
Pia Masurczak

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Der israelische Historiker Moshe Zimmermann hat nicht den Eindruck, dass die umstrittene Paulskirchenrede Martin Walsers von 1998 in den Nachrufen auf den Schriftsteller zu wenig Raum eingenommen hätte. Er habe diese jedoch nicht systematisch ausgewertet.

Allerdings sei die Diskussion um Holocaust-Relativierung in Deutschland sehr relevant, gerade im Hinblick auf den Aufstieg von Rechtspopulisten der AfD. „Und da schauen wir selbstverständlich besorgt auch aus Israel“, meint Moshe Zimmermann im Gespräch mit SWR2 Kultur Aktuell.

Israelische Politik versucht aus Auschwitz ein Einschüchterungsmittel zu machen

Aber nicht alle in Israel seien besorgt, denn auch dort sei der Rechtspopulismus erstarkt. Mit Blick auf die israelische Regierung warnt Zimmermann: „Die israelische Politik versucht aus Auschwitz ein Einschüchterungsmittel zu machen und Antisemitismus überall zu suchen, auch dort wo er nicht zu finden ist, um sich selbst zu rechtfertigen.“

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Zum Tod von Martin Walser

Nussdorf

Nachruf „Unermüdlich sein und unersättlich, und undurchschaubar" - Der Jahrhundertschriftsteller Martin Walser ist tot

Er war der große Mann der deutschen Nachkriegsliteratur: Zusammen mit Günter Grass, Siegfried Lenz und Heinrich Böll prägte der Schriftsteller Martin Walser das intellektuelle Bild der Bundesrepublik. 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren, war ihm schon recht früh klar, dass er nur eines werden wollte: Dichter. Mit seiner kantigen, streitbaren Art mischte er sich immer wieder vom Bodensee in die hohe Politik ein, was nicht selten zu unversöhnlichen Debatten führte. Am 26.7.2023 ist er im Alter von 96 Jahren gestorben, wie der Rowohlt-Verlag bestätigte.

11.10.1998 "Moralkeule Auschwitz" – Martin Walsers umstrittene Friedenspreis-Rede

11.10.1998 | "Geistige Brandstiftung" – mit diesem Vorwurf reagierte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, zunächst auf die Rede, die Martin Walser am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche hielt. An dem Tag hat Martin Walser den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.
Bubis saß bei der Veranstaltung in der ersten Reihe, als Walser seine Dankesrede hält. Darin kritisiert er, dass man den Deutschen ihre nationalsozialistische Vergangenheit immerzu vorhalte. Das helfe auf Dauer nicht, um die NS-Zeit in kritischer Erinnerung zu behalten, sondern es animiere die Menschen zum Wegschauen. Dadurch bestünde die Gefahr, dass Auschwitz zur simplen "Moralkeule" verkomme und seine tatsächliche Bedeutung verliere.
Hier die Rede im Zusammenhang.

Forum Der Schriftsteller vom Bodensee - Zum Tod von Martin Walser

Wörter bedeuteten ihm Alles. Fast jedes Jahr hat Martin Walser ein Buch herausgebracht. Er selbst ist schon ein Teil deutscher Kulturgeschichte, und doch denken viele bei seinem Namen noch immer zuerst an die Rede in der Frankfurter Paulskirche, an sein Wort von der „Moralkeule Auschwitz“. Zu Walsers 95. Geburtstag diskutierte das SWR2 Forum über „Walser und kein Ende – der Schriftsteller vom Bodensee“.

SWR2 Forum SWR2

Der Historiker Moshe Zimmermann

SWR2 Zeitgenossen Der Historiker Moshe Zimmermann

Aus Hamburg waren seine Eltern nach Palästina geflohen, und in Jerusalem wurde Moshe Zimmermann 1943 geboren. Der Vater blieb zeitlebens bekennender Fan des HSV. Er vererbte diese Liebe dem Sohn, der später auch den Zusammenhang zwischen Sport und Nationalismus erforscht hat. Moshe Zimmermann promovierte 1977 an der Hebräischen Universität Jerusalem über die Emanzipation der Hamburger Juden im 19. Jahrhundert. Die neuere deutsche Sozialgeschichte, die Geschichte der deutschen Juden und des Antisemitismus, die deutsch-israelischen Beziehungen wurden seine Arbeitsschwerpunkte. Zimmermann war auch Mitglied der Historikerkommission zur Erforschung der NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes. Als Emeritus der Hebrew University Jerusalem meldet sich Moshe Zimmermann weiter zu Wort: Er beklagt den Rechtsruck in der israelischen Politik der letzten Jahre und kritisiert Israels Besatzungs- und Siedlungspolitik.

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Pia Masurczak