Buchkritik

Heinz Strunk – Der gelbe Elefant

Stand
AUTOR/IN
Anja Höfer

Willkommen im Strunk-Kosmos! Sie sind alle wieder da: die Abgehängten, die Lebensmüden, die zu kurz Gekommenen. Versammelt in einem Band mit kurzen, sehr unterschiedlichen Texten. Ein düsteres Buch voller Lebensekel und Misanthropie.

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Die brüchige Welt der Durchschnittsbürger

Es geht gut los: „Kroketten“ heißt die erste Geschichte. Ein Setting wie in dem berühmten Loriot-Sketch „Kosakenzipfel“: Dort feiern - wir erinnern uns - die Ehepaare Hoppenstedt und Pröhl in der gehobenen Gastronomie ein kleines Jubiläum: Sie haben sich vor fünf Jahren auf einem Campingplatz in Klagenfurt kennen gelernt.

Die gute Stimmung kippt jäh um, als Herr Pröhl ein Stück zu viel vom Dessert weglöffelt - dem berühmten Kosakenzipfel - den man sich eigentlich brüderlich teilen wollte. Der Abend endet in völliger Zerrüttung.

Bei Heinz Strunk ist das alles wie immer noch eine Ebene tiefer gelegt: Seine beiden Paare sind schon beim Du, heißen Claudi und Andi und Olli und Melli, sie haben sich im letzten Urlaub auf Korfu kennen gelernt, und sie sitzen nicht im Nobelrestaurant, sondern in der eher rustikalen „Taverna Bacchus“ in Lübeck. Und schon sind wir mitten drin im Strunk-Kosmos:

Olli ist Ingenieur (Elektrotechnik) bei der DEKRA, ein Job, der Frauenaugen auch nicht gerade zum Leuchten bringt. Olli, man muss es leider so sagen, ist ein Ladenhüter, ein Schussel, einer, der außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit dauernd alles falsch macht, sein Hemd verkehrt herum zuknöpft, an der falschen Haltestelle aus dem Bus steigt, schnell Opfer von Demütigungen wird, aus unerfindlichen Gründen Demütigungen geradezu provoziert.“

Auch die anderen drei: eher traurige Durchschnittsexistenzen, wie man sie aus Heinz Strunks Büchern nur allzu gut kennt. Das einzige, was sie noch entflammen kann, ist die Aussicht auf hausgemachte Kroketten bei ihrem Stammgriechen.

Aber dann die Hiobsbotschaft der Wirtstochter Athina: „Kroketten sind aus“. Daraufhin kippt die Stimmung in der gemütlichen Bacchus Taverne.

Der Abend ist gelaufen, Andi und Claudi brechen überstürzt auf, und zwischen Olli und Melli deutet sich eine tiefe Beziehungskrise an. Es läuft nie rund für die Helden von Heinz Strunk, die eigentlich immer Anti-Helden sind und die er mit der ihm eigenen Mischung aus Komik und unendlicher Tristesse sehr genau zu beschreiben vermag.

Kurze Texte über einen großen Lebens-Ekel

Nach mehreren Romanen widmet sich Strunk jetzt der kurzen Form, und das in einem großen Variantenreichtum: „Der gelbe Elefant“ versammelt Erzählungen, kleine Skizzen von wenigen Zeilen, Auszüge aus e-Mail-Korrespondenzen und absurde Szenen.

Fast alle eint eine düstere Grundstimmung. Mehrere Texte handeln vom Tod, auch vom Suizid, es geht, wie so oft bei Strunk, um einen großen Lebensekel.

Seine Welt ist ein einziges irdisches Jammertal, in dem man vielleicht mal einem kurzen Instant-Glück hinterher jagt, um dann wieder - an Geist und Leib erloschen -  dahinzudämmern.

Fast besessen scheint der Autor inzwischen von den Themen Alter und Verfall zu sein. So beschreibt er einen hochbetagten Mann auf seiner eigenen Geburtstagsfeier:

Herr Wagner sieht in seinem zu groß gewordenen Jackett aus wie ein Vogel der fluguntüchtigen Sorte. Seine Gesichtshaut ist vollkommen farblos, die dünn gewordene Nasenspitze wirkt wie die eines Toten. Er ist so dürr und ausgemergelt, dass überall Knochen seine Haut zu durchstoßen drohen. Seine arthritischen Hände sind eigenartig ineinander verklammert, die wenigen Haare stehen in wilden, verklebten Büscheln ab, Wasser im Knie und Salzlager in den Gelenken. Man hört schon von Weitem, wenn er sich nähert, alles knirscht.“

Mit fast schon barocker Wucht erinnert uns Strunk daran, dass wir verwundbare, sterbliche Wesen sind. Das kann an manchen Stellen sehr komisch sein, ist aber doch meistens von so einer Kälte und Gnadenlosigkeit, dass es einen beim Lesen schaudert.

Och Nö!

Die Strunksche Conditio Humana ist eine zwischen hässlichen Plastikstühlen, zu viel Körperfett und Doppelkorn. Sie kennt keine Hoffnung. Es scheint ein sehr kaltes Licht aus diesen Geschichten.

In einer zerbeisst ein wild gewordener Terrier wie im Blutrausch das Gesicht eines 14jährigen Jungen. Alles, was dem Hundebesitzer dazu einfällt, sind die Worte: „och nö“.

Manchmal ist es schwer zu ertragen, wie mitleidlos und gehässig hier über Menschen geschrieben wird. Das kann man als präzisen und zynischen Blick auf die Welt feiern, die nun mal kein Ponyhof ist.

Die ausgestellte Misanthropie, die bei Strunk inzwischen zur Masche geworden zu sein scheint, kann einem in dieser Ballung aber auch ausgesprochen auf die Nerven gehen.

Eine Prise Komik

In manchen Texten blitzt dann zum Glück wieder die Komik auf, die man an diesem Autor sonst so schätzt. Herrlich absurd ist die Geschichte „Haltungsstufe II“, in der ein radikaler Tierschützer die Idee hat, mehrere Schlachthofbesitzer zu entführen und diese drei Wochen unter Bedingungen leben zu lassen, die der „Haltungsstufe 2 (Stallhaltung plus)“ entsprechen:

Das Ganze wird als Real Animal Camp per Livestream ins Netz gestellt. (…) Kleiner Bonus, Freddys Idee: Da Rinder bekanntermaßen mehr Milch geben, wenn sie mit klassischer Musik beschallt werden, will Freddy auch den Gästen Kunstgenuss nicht vorenthalten. Statt für Bach, Mozart, Beethoven etc.  hat er sich allerdings für durchgehende Beschallung mit  den ätzendsten Stimmungsliedern aller Zeiten entschieden: Heute hauen wir auf die Pauke, So ein Tag, so wunderschön wie heute, Ein bisschen Spaß muss sein. Das ist nicht ohne, aber was die Gäste den Tieren antun, wiegt dann doch schwerer.“

Auch wenn es einige bewährt komische Passagen im „Gelben Elefanten“ gibt: Zynismus ist die vorherrschende Tonlage in diesem Buch, das nach der Lektüre ein großes Gefühl der Leere hinterlässt. Kein Trost, nirgends.

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