Buchkritik

Hans-Ulrich Treichel – Schöner denn je

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AUTOR/IN
Carsten Otte

Mit seinem neuen Roman „Schöner denn je“ erzählt Hans-Ulrich Treichel die Geschichte eines einsamen und sehnsüchtigen Menschen im geteilten Berlin, der sich in ein nahezu filmreifes Leben hineinträumt, schließlich aber mit seiner eigenen Mittelmäßigkeit zufrieden geben muss.

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Eine Lebensgeschichte ausgebreitet bis ins letzte schmerzhafte Detail

Schon der Einstieg in Hans-Ulrich Treichels neuem Roman „Schöner denn je“ erweist sich als traurige Pointe.

„Ich habe nie jemandem davon erzählt. Von meinem Auserwähltsein, wenn ich es einmal so nennen darf.“
(Hans-Ulrich Treichel: Schöner denn je)

Weder ist der Ich-Erzähler auserwählt, noch mag man ihm glauben, dass er seine Lebensgeschichte bislang verheimlicht hat, und selbst wenn, auf den folgenden Seiten wird er sie bis ins letzte schmerzhafte Detail ausbreiten.

Der Ich-Erzähler Andreas Reiss vergleicht sich ständig mit seinem Schulfreund Erik

Andreas Reiss heißt der Mann, der sich sehnsüchtig wünscht, ein anderer zu sein, ein kluger und attraktiver Kerl, dem selbst eine Filmdiva zu Füßen liegt. Seine Hybris kommt dabei keinesfalls nur großspurig, sondern immer auch ein wenig zaudernd daher. Gewachsen ist dieser Minderwertigkeitskomplex schon in Jugendjahren, als er sich ständig mit seinem Schulfreund Erik verglich.

„Erik war nicht nur der Bessere, was die Schulnoten, die Beliebtheit bei den Mädchen, den Sport oder das Berufsleben betraf, damit hätte ich zurechtkommen können. Nein, er schien auch das interessantere und ereignisreichere Leben zu führen.“
(Hans-Ulrich Treichel: Schöner denn je)

Andreas landet in der Lehrerfortbildung, Erik in Hollywood

Nach dem Abitur in der norddeutschen Provinz werden die zwei nach Berlin ziehen. Der eine studiert in der damals noch geteilten Stadt Romanistik, der andere interessiert sich für Filmarchitektur. Andreas wird seinen Lebensunterhalt nach ein paar beruflichen Umwegen in der Lehrerfortbildung verdienen. Erik scheint in Hollywood eine Karriere hingelegt zu haben.

Sie verlieren sich aus den Augen, dennoch kann Andreas nicht aufhören, den Schulfreund auf kompetitive Weise zu idealisieren. Er nennt ihn einen „Wettbewerber des Lebens“, wobei diese Konkurrenz meist zu seinen Ungunsten ausfällt. Zumal es Andreas wichtig ist, dass Erik nichts von seinen Gedanken mitbekommt.

„Ich trainierte Distanz und so etwas wie freundliche Gleichgültigkeit. Ich war ja schließlich kein Stalker. Und anderweitig psychisch gestört war ich auch nicht.“
(Hans-Ulrich Treichel: Schöner denn je)

Welcher Irrkopf würde auch schon zugeben, nicht ganz bei Trost zu sein?

Die ungleichen Freunde treffen sich nach vielen Jahren wieder

Treichel erzählt durchaus mit feiner Lakonie von einem gequälten Durchschnittshelden, der seinen ungleichen Freund viele Jahre später wiedertreffen wird.

Andreas hat sich gerade von seiner Frau getrennt, ist auf Wohnungssuche, und der großzügige Erik bietet ihm an, er könne doch vorübergehend in seine Wohnung in Charlottenburg einziehen. Die stehe ohnehin leer, während er in den USA arbeite.

Das Glück im Unglück scheint perfekt, als dann auch noch das Telefon klingelt und sich mit Hélène Grossmann ein Filmstar meldet, den Andreas seit Studienzeiten verehrt. Statt Erik zu informieren, dass sich Hélène nach ihm erkundigt hat, verbringt Andreas ein paar Stunden mit der prominenten Dame. Man könnte auch sagen: Der Filmstar lässt sich von einem Bewunderer durch Berlin fahren, der sich wiederum in seiner Rolle gefällt und von Schlagzeilen in der Boulevardpresse träumt.   

„Chauffeur verrät: Hélène Grossmann – schöner denn je!“
(Hans-Ulrich Treichel: Schöner denn je)

Womit auch der Romantitel geklärt ist. Wobei „Schöner denn je“ sich eher wie eine Novelle eines notorischen Normalos liest, es aber zu einem unerhörten Ereignis nicht kommt.

Man möchte diesen biederen Erzähler manchmal schütteln

Treichel verlässt die Welt des im Grunde biederen Erzählers nicht, den man zuweilen schütteln und ihn bitten möchte, nicht nur in Fantasien zu leben und mal wirklich etwas zu tun, was die Welt herausfordert.

Zwar ist beiläufig vom „Tötungstrieb des gekränkten Bewunderers“ die Rede, aber der Fan bleibt bis zum Schluss in der inferioren Position. Das macht den Text so artifiziell wie eintönig, hätte man doch irgendwann gerne mal gewusst, was Erik oder Hélène von diesem komischen Kauz halten, der sich in das Leben anderer Leute einschmuggelt.

Andreas hält sich für „auserwählt“, weil er sich für eine paar Stunden zwischen Erik und die berühmte Schauspielerin stellen kann, aber alles beruht nur auf der Einbildung eines Einsamen. Als Hélène ihn direkt auf Erik anspricht, zerplatzt die Illusionsblase. 

„Ich erschrak, als hätte sie mir einen Stromstoß versetzt. Zugleich fühlte ich, wie mir die Schamröte ins Gesicht schoss. Fragte sich nur, warum. Aber auf irgendeine Weise fühlte ich mich von ihr ertappt.“

Dieser Roman Treichels wirkt wie ein merkwürdiger Abgesang aufs eigene Werk

Hans-Ulrich Treichel hat immer wieder über mittelalte Männer aus dem akademischen Mittelbau geschrieben, die große Meister des Lebens und der Kunst anhimmeln, etwa in seinem Komponistenportrait „Tristanakkord“.

Auch die Beschwörung des alten Westberlins, etwa im Roman „Grunewaldsee“, ist ein klassisches Treichel-Motiv. Doch weder das eine noch das andere ist im neuen Roman schöner denn je. Im Gegenteil. Die Prosa, die der Geschwätzigkeit des Erzählers bruchlos folgt, wirkt eher wie ein merkwürdiger Abgesang aufs eigene Werk.

Sternchenthemen im Abitur „Der Verlorene“ von Hans-Ulrich Treichel

Anja Brockert im Gespräch mit dem Autor. Aufzeichnung vom 9. März 2021 im Literaturhaus Stuttgart.

SWR2 Wissen: Sternchenthemen SWR2

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