Buchkritik

Grégory Salle – Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän

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AUTOR/IN
Andreas Puff-Trojan

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Die Liste der Milliardäre wird immer länger. Und die soziale Schere klafft weit auseinander. Grégory Salle beschreibt in seinem Buch "Superyachten" ein Nischenproblem - aber eines mit hoher sozialer wie ökologischer Sprengkraft. Wer für sein Luxusschiff um die 100 Millionen Euro ausgeben kann, der weiß, dass er anders ist als - fast - alle anderen.

Aus dem Französischen von Ulrike Bischoff
Edition Suhrkamp, 170 Seiten, 16 Euro
ISBN 978-3-518-12790-2

Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine beschlagnahmen westliche Demokratien Luxusgüter russischer Oligarchen. Ein ganz besonderer Fang gelang den Hamburger Behörden im April: Sie setzten die Superyacht „Dilbar“ des russischen Milliardärs Alisher Usmanov fest. Der Wert dieses schwimmenden Kleinods wird auf 600 bis 680 Millionen Euro geschätzt. Sind aber Superyachten nicht bloß ein Nischenproblem? Grégory Salle sieht das anders. Der in Frankreich wirkende Soziologe und Politikwissenschaftler hat einen glasklaren Blick auf Dinge, die die Welt bewegen. In seinem Buch „Superyachten“ geht es um „Luxus und Stille im Kapitalozän“, so der Untertitel. Im „Kapitalozän“ ist der Mensch Akteur eines ihn bestimmenden Systems – eben des Kapitalismus. Und Superyachten sind sozusagen dessen äußerster Rand, die kaum wahrgenommene Spitze des Eisberges im Weltmeer des kühlen wie coolen Kapitals. Und dennoch. Es geht uns doch auch gut. Wollen wir denn zu Neidgenossen verkommen, wegen ein paar Luxusyachten der Superreichen?

Der Autor zitiert in seinem Buch einen Artikel des amerikanischen Journalisten Rupert Neate. Er berechnete, dass die jährlichen Ausgaben für die ungefähr 6000 in Betrieb befindlichen Superyachten die gesamten Schulden der sogenannten „Entwicklungsländer“ tilgen könnten. Das ist ein schlagendes Argument, wenn man an die sich meist mühsam gestaltenden Geberkonferenzen für die ärmsten Länder der Welt denkt. Doch mit Rupert Neates These lässt sich auch eine andere Rechnung aufstellen. Rund 6000 Superyachten gibt es. Wenn man bedenkt, dass eine Superyacht in etwa von 50 bis zu 650 Millionen Euro kostet, man einen unteren Mittelwert von 100 Millionen anlegt, dann bildet die Armada der Superyachten ein Vermögen von 600 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Im Vergleich: Spaniens jährliche Staatseinnahmen belaufen sich auf ca. 500 Milliarden, in Belgien sind es 250 Milliarden Euro.

Megayachten kennen keine Krisen. Im Gegenteil: Ihre stete Zunahme beweist, dass sich die soziale Schere immer weiter öffnet. Dabei gibt es bei den Superyachten auch eine soziale Hierarchie: Die einen besitzen diese, die anderen mieten sie. Die 85 Meter lange Yacht „Solandge“ kann man Sommer wie Winter für eine Million Dollar pro Woche mieten. Der Eigner soll übrigens ein Prinz aus Saudi-Arabien sein. Die Besitzer der Luxusyachten stammen häufig nicht nur aus Russland, sondern ebenso aus der arabischen Welt. Doch auch Jeff Bezos besitzt eine Segelyacht, die an die 500 Millionen Dollar gekostet haben soll. Selbst der geniale Filmemacher Steven Spielberg mischt mit: Der Bau seiner Motoryacht „Seven Seas“ hat allerdings „nur“ 200 Millionen Dollar verschlungen.

Doch die Zeiten ändern sich. Seitdem ökologisch bewusstes Handeln Vorrang hat, geraten Superyachten stärker in die Kritik. Sie sind gut sichtbare Symbole für Umweltsünden. Grégory Salle gibt an, dass eine Yacht von etwa 70 Meter Länge 500 Liter Marinedieselöl pro Betriebsstunde verbraucht. Das heißt aber auch, dass ihre Eigner Menschen sind, denen das Wohlergehen des Blauen Planeten sprichwörtlich am A. vorbeigeht. Doch noch etwas zählt. Der Amerikaner Bill Duker, selbst Eigner einer Supersegelyacht, sagte einmal scherzhaft in die Kamera: „Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen.“

Man sieht: Grégory Salles Buch „Superyachten“ handelt von einem Nischenproblem mit extrem hoher Sprengkraft – sowohl in sozialer wie in ökologischer Hinsicht. Salles Ausführungen sind absolut lesenswert. Nein! Nicht für Neidgenossen, sondern für Eid-Genossen, die sich der Bewahrung der Ökologie und der Aufrechterhaltung sozialer Gerechtigkeit verpflichtet fühlen. Die Herren der Superyachten haben diesen Eid gebrochen.

(Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.)

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Andreas Puff-Trojan