Seit mehr als 40 Jahren werden Frauen und Mädchen im Iran brutal unterdrückt. Sie sind es, die jetzt die Proteste gegen das Mullah-Regime anführen.
In ihrem Buch „Iran – Die Freiheit ist weiblich“ porträtiert ZDF-Korrespondentin Golineh Atai beeindruckende Frauen aus ihrer Heimat.
Lesung von Monja Sobottka.
Gespräch Nahost-Expertin Golineh Atai: Westen sollte staatliche Willkür im Iran kritisieren
Die renommierte Nahost-Korrespondentin Golineh Atai fordert mehr westliche Unterstützung der Proteste im Iran. So mache es sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu leicht, wenn sie glaube, Gewaltakte gegen Frauen im Iran hätten mit der Religion nichts zu tun, sagt Atai in SWR2. „Von einer deutschen Außenministerin erwarte ich da ganz klare Kritik an staatlicher Willkür, deutlichere Worte und Selbstkritik.“
Im Iran, erklärt Atai, werde „Willkür als Kultur verbrämt“. So werde das Kopftuchgebot als Teil der eigenen Kultur ausgegeben, weil das Regime wisse, „dass Kulturkritik im Westen als eine heikle Sache gilt. Da sind wir sehr sensibel, da wollen wir politisch korrekt sein.“
Die Konsequenz aus der Sicht von Golineh Atai: „Da, wo wir uns eigentlich für Frauenrechte hätten stark machen sollen, haben wir das oft nicht getan, weil wir Angst hatten in Europa, dass wir mit dieser Agenda rechte Kreise unterstützten.“ Das habe auch dazu geführt, die millionenfachen Akte zivilen Ungehorsams im Iran über viele Jahre einfach zu überhören.
Dabei werde im Westen letztlich verdrängt, dass der Iran schon vor der Revolution ein islamisches Land gewesen sei, das Frauen gleichwohl das Wahlrecht, Scheidungs- und Familienrechte oder den Eintritt in Sportstadien gewährt habe. Auch hätten sich Frauen so kleiden können, wie sie das wollten, im Minirock oder im Tschador – und das alles schon damals gegen den Protest der schiitischen Geistlichkeit.
Um auf die Entwicklung im Iran Einfluss zu nehmen, stünden Deutschland und anderen Nationen mehr Instrumente zur Verfügung, als uns bewusst sei, ist Golineh Atai überzeugt. So könne der Iran bis heute über ein Islamisches Zentrum in Hamburg als Außenposten seine Propaganda betreiben. Denkbar seien ein UN-Mechanismus zur Ahndung von Verbrechen des Regimes oder Vermögensbeschlagnahmungen, um die Geldwäsche der Elite des Mullah-Regimes zu unterbinden.
Golineh Atai ist Nahost-Korrespondentin, Studioleiterin des ZDF in Kairo und Autorin des Buches „Iran, die Freiheit ist weiblich“ von 2021.
Gespräch „Iran gehört den Menschen, nicht den Mullahs“ : Dokumentarfilmer Ali Samadi Ahadi schreibt offenen Brief an Annalena Baerbock
Die aktuellen Sanktionen gegen den Iran würden nur die Bevölkerung schwächen, sagt Dokumentarfilmer Ali Samadi Ahadi. Er fordert: „Dabei sollten nicht die Menschen im Iran bestraft werden, sondern direkt Politiker und Repräsentanten des Regimes“. Zusammen mit dem Schriftsteller Rafik Schami hat Ali Samadi Ahadi eine Petition gestartet, in der sie unter anderem schärfere Sanktionen gegen das Regime, stärkere Unterstützung der Zivilgesellschaft und juristische Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen fordern. Für die Menschen im Iran sei es sehr wichtig, dass ihre Stimme hier in Europa ankomme, so Ali Samadi Ahadi, allerdings bräuchten sie nicht nur unsere Solidarität, sondern vor allem Unterstützung der Politik. Deutschland täte gerade noch zu wenig. Die zahlreichen Menschen, die im Iran protestieren zeigten: „Sie sind die Eigentümer Irans, nicht die Mullhas, die mit aller Gewalt und Brutalität über Krieg und Frieden die Entscheidungen treffen“, so Ali Samadi Ahadi.
Gespräch Politologe Fathollah-Nejad: Proteste im Iran sind „revolutionärer Prozess“
Bei den Protesten im Iran handele es sich definitiv um einen „revolutionären Prozess“, meint der Politologe Ali Fathollah-Nejad im Gespräch mit SWR2. Im Unterschied zu den bisherigen Protesten stehe hinter den jüngsten Demonstrationen eine breit aufgestellte Bevölkerungsschicht. Ob es zu einem Umsturz kommen kann, sei, wie bei allen revolutionären Prozessen, nicht absehbar. Das Regime verfüge zurzeit noch über die stärkeren Mittel, die Proteste zu unterdrücken. Auch von ideologisch inszenierten Druckmitteln, wie jetzt der Brand im Ewin-Gefängnis in Teheran, dürfte in Zukunft noch viel zu beobachten sein, sieht der Experte voraus. Wichtig sei, die Gespräche über ein weiteres Atomabkommen mit dem Iran einzustellen, denn von diesen Geldern würde nur das Regime profitieren. Und die Mittel würden zur Unterdrückung der Proteste eingesetzt werden.
Gespräch Enissa Amani: „Wir müssen die Stimmen im Iran noch lauter klingen lassen“
„Jede Solidaritätsaktion, wie sich Haarsträhnen auf Social Media abzuschneiden, hilft unglaublich“, sagt die iranisch-deutsche Komikerin Enissa Amani im Gespräch mit SWR2, „und jede Solidarität ist Menschlichkeit“.
Musikgespräch Cymin Samawatie über die Iran-Proteste und Musik als Widerstand
Mit Hoffnung aber auch viel Trauer beobachtet die Musikerin Cymin Samawatie die Lage im Iran. Bereits zu den letzten Protesten hat sie Songs geschrieben, immer innerlich und emotional, denn das sei ihre Art des Kunstmachens. Sie spricht über politische Musik in der aktuellen Widerstandsbewegung und wie gerade Frauen auch in der Kulturszene im Iran immer noch drangsaliert und schlechter gestellt werden.
Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. "Frauen, Leben, Freiheit": Schreibt der Iran gerade feministische Weltgeschichte?
Eine junge Frau ohne Kopftuch, die auf dem Dach eines Autos steht und „Tod dem Diktator“ ruft. Zwei Frauen, die ohne Kopftuch frühstücken gehen. Frauen, die gegen die allgegenwärtige Sittenpolizei protestieren. Noch vor kurzer Zeit wäre all das im Iran undenkbar gewesen.
Seit etwa zwei Wochen ereignen sich derartige Szenen in der Islamischen Republik immer wieder. Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen wurde und später im Krankhaus starb. Die daraus entstandenen Proteste berühren einen Kernbestandteil der Islamischen Republik: die Pflicht für Frauen, ein Kopftuch zu tragen.
Schreiben die Frauen im Iran gerade feministische Weltgeschichte? „Ja“, sagt die Journalistin Natalie Amiri im SWR2 Podcast „Was geht - was bleibt“. „Denn auf den Straßen stehen Frauen, sie reißen sich das Kopftuch vom Leib, unter dem Beitrag von Männern und Frauen, sie verbrennen ihre Kopftücher, sie widersetzen sich der Sittenpolizei, die sie mehr als 40 Jahre lang diskriminiert hat, beleidigt, beschimpft, verhaftet und in Mini-Busse gezerrt und sie fertig gemacht hat. Die Frauen, die jetzt sagen: Wir machen nicht mehr mit.
Aber – so Amiri – das Regime schlage hart zurück. Die Frauen im Iran litten seit mehr als 43 Jahren, „ich habe nie so willensstarke Frauen wie die im Iran gesehen“, sagt Natalie Amiri. Feminist*innen auf der ganzen Welt sollten sich noch weitaus mehr mit den Frauen im Iran solidarisieren, ein Kopftuchverbot zum Beispiel in Deutschland lehnt Amiri jedoch ab: „Wenn wir hier in der Demokratie, in Freiheit Frauen verbieten Kopftücher zu tragen, wären wir nicht viel besser als die Islamische Republik.“
Die Politologin und Aktivistin Emilia Roig sieht die iranischen Proteste im Kontext eines weltweiten Feminismus: „Der Protest zeigt, wie tödlich das Patriarchat im Iran ist. “Auch in Deutschland gebe es Gewalt gegen Frauen, so Roig: „Alle drei Tage wird hier eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.“ Man müsse das Patriarchat „jeden Tag verlernen“, „wir müssen die unterlegene Position der Frauen verlernen und auch die binäre Geschlechtsordnung.“
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Host: Philine Sauvageot
Redaktion: Philine Sauvageot und Daniel Stender