Der Autor Ralph Tharayil ist als Kind indischer Einwanderer in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Seine Erfahrungen sind in seinen Debüt-Roman „Nimm die Alpen weg“ eingeflossen: Die Anstrengung, dazugehören zu wollen, begleitet von dem Wunsch, die Herkunftskultur nicht aufzugeben.
Idyll und Enge der Schweizer Gesellschaft
Ralph Tharayil erschafft mit mit nur wenigen Sätzen eindrückliche, knappe Bilder und eine neue Erzählform, eine Flucht aus der Enge der Sprache. Das Geschwisterpaar, seine Hauptfiguren im Roman, fragen: „Wann werden Buchstaben so unendlich sein wie Zahlen?“
„Es kann auch eine rassistische Geste sein, wenn man sagt: Du bist ja ein guter Ausländer, nicht so wie die anderen.“
Die Schweiz ist für Ralph Tharayil ein „idyllisches Land, das gleichzeitig geprägt ist von einem inneren Zusammenhalt, der auch gewaltsam sein kann.“ Integration, so der Autor, sei immer gewaltsam, weil auf die Aussage „Du bist willkommen“ immer ein „Aber“ folge. Dieses „Aber“ beschreibt er auch in seinem Roman: Er meint damit Bedingungen, an die Integration geknüpft ist, Ausgrenzungserfahrungen, Rassismus.
Starke Kinder, schwache Eltern
Auch die Beziehung zu den Eltern spielt in seinem Roman eine wichtige Rolle. Die Kinder, in dem für die Eltern fremden Land geboren, finden sich dort besser zurecht als die Eltern. Sie helfen ihnen bei Briefen oder Behördengängen und schlüpfen so in eine Rolle, die eigentlich für die Eltern gedacht ist.
Kinder und Eltern entfremden sich: Die Kinder bemerken, dass sie die Eltern in ihrer Entwicklung überholt haben. Die Eltern wiederum freuen sich über den sozialen Aufstieg der Kinder, vermissen jedoch den gemeinsamen kulturellen Nenner. Die Kultur Zuhause ist immer eine Mischform aus der Herkunftskultur der Eltern und der der neuen Heimat.
Geschwisterbande
In dieser Konstellation sind die Geschwister wichtige Verbündete. Ralph Tharayil, der mit zwei Geschwistern aufgewachsen ist, hat ein sehr enges, freundschaftliches Verhältnis zu ihnen. Im Roman sprechen die Geschwister mit einer Stimme und werfen einen mikroskopisch genauen Blick auf ihre Familie. Die Kindheit, die Geschwister – ein besonderes Thema für Ralph Tharayil, mit dem er sich auch in anderen Texten schon auseinandergesetzt hat und mit dem er aber noch lange nicht fertig ist.
Der Pater und der Erzengel
Ralph ist kein indischer Name. Auf die Frage, warum ihn seine Eltern so genannt haben, gibt es mehrere Antworten: Als seine Mutter mit Anfang zwanzig in der Schweiz Deutsch lernen wollte, sah sie im Fernsehen die Serie „Die Dornenvögel“, in der Richard Chamberlain die Hauptrolle des Pater Ralph spielt.
Dieser beeindruckte die Mutter so, dass sie ihren Sohn nach ihm benannte. Ralph sei außerdem von Raffael, dem Erzengel abzuleiten – eine wichtige Verbindung für die christlichen Eltern. Nicht zuletzt wollten ihm seine Eltern sein Leben vielleicht vereinfachen, meint Ralph Tharayil, indem sie ihm einen Namen gaben, bei dem niemand nachfragen muss, weil er ihn nicht verstanden hat.
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