Eigentlich hat sie schon alles geschafft, was sich eine Schauspielerin wünschen kann: Stefanie Reinsperger war erst am Wiener Burgtheater, wurde dann eine feste Größe beim Berliner Ensemble, war die Buhlschaft im „Jedermann“ der Salzburger Festspiele und verkörpert die Dortmunder Tatort-Kommissarin Rosa Herzog. Doch wird sie auch öffentlich beschimpft und angefeindet, weil ihr Körper nicht der Norm entspricht, weil sie „dick“ ist. Über den persönlichen Umgang mit dieser Feindseligkeit hat sie nun ein Buch geschrieben, das in seiner Offenheit fast weh tut. „Ganz schön wütend“ beschreibt aber auch ein neues Gefühl, mit dem sie sich langsam aus der Ohnmacht herausarbeitet.
Lange hat Stefanie Reinsperger geschwiegen
„Ich habe einen Drohbrief bekommen, in dem stand, dass ich, falls ich es wage, noch mal auf die Bühne zu gehen, mit Konsequenzen rechnen müsste, weil nicht ertragen wird, so einen hässlichen, dicken Körper zu sehen. Ich bin trotzdem auf die Bühne gegangen. Bei einer anderen Produktion wurde mir von Zuschauer*innen gesagt, ich könnte nicht glaubhaft ein Vergewaltigungsopfer spielen, weil niemand auf der Welt so eine dicke Frau wie mich vergewaltigen würde. Ich bin trotzdem auf die Bühne gegangen.“
Es sind Stellen wie diese in Stefanie Reinsbergers Buch, die man mehrmals lesen muss – so ungeheuerlich erscheinen die Vorfälle, dass man sie kaum glauben mag. Lange hat sie darüber nicht gesprochen, über das was in Salzburg geschah, aber jetzt müsse es raus, schreibt sie, auch damit diese Dinge aufhören.
Keine Biografie
Die feindselige Debatte um ihren Körper, als sie die Rolle der Buhlschaft in Hoffmansthal‘s Jedermann übernahm, offenbarte einmal mehr den krassen Sexismus einer Kulturbranche – auf Seiten der Medien und des Publikums – die sich sonst so gern den Humanismus auf die Fahnen schreiben.
Was die permanent öffentliche Bewertung ihrer Erscheinung mit ihr macht, das beschreibt Steffi Reinsberger in „Ganz schön wütend“ mit einer Offenheit, die fast weh tut.
Das Buch ist keine Biografie, es erzählt verschiedene Episoden aus ihrem Leben, die wiederum offenbaren, wer sie ist, wie sie tickt: über ihre Arbeit als Schauspielerin, die ihr alles bedeutet, die sie über alles liebt. Warum sie Mandalas malt.
Reinsperger will das Wort „dick“ rehabilitieren
Jeder Text hat eine eigene und eigenwillige künstlerische Form: es gibt ein Wut-ABC, Sprachspiele, Gedankensplitter, es gibt schräge Dialoge zwischen zwei Druckkochtöpfen, es gibt wunderschöne Fotos von ihr, auf denen sie wütend ist. Denn sie ist ganz schön wütend und auch schon immer gewesen.
Als Kind wird sie wegen ihrer Brüllattacken einem Arzt vorgestellt, der schickt sie zu einem Kindertheater, wo sie auf die Bühne kann, sie beruhigt sich. Reinsperger hat verschiedene Anliegen mit dem Buch, denn sie hat für sich gemerkt, dass künstlerische Verantwortung über Bühne und Film hinausgeht.
Zunächst will sie das Wort „dick“ rehabilitieren, das auf Körper bezogen nur negativ besetzt ist, aber: „Es gibt viele Menschen, die dicke Bücher großartig finden. Eine dicke Scheibe Käse, eine dicke Wolldecke, ein dickes Konto, ein dicker Kuss – scheint auch immer auf positive Reaktionen zu stoßen.“
Verschiedene Formen der Wut
Und dann will sie natürlich wütend sein und diese Wut für Veränderung nutzen, ohne dafür als hysterisch zu gelten, als zu leidenschaftlich, als zu emotional: „Es ärgert mich immer noch, Drehbücher geschickt zu bekommen, wo bei der Rolle, die mir angeboten wird, zu 90 Prozent in Klammern steht: pummelig, wuchtig, untersetzt. Lasst diese Beschreibungen, beziehungsweise Zuschreibungen. Hört einfach auf damit! Niemand braucht das.“
Und dann ist da ja auch noch die Spielwut, die schönste Wutfacette von Stefanie Reinsperger, die manchmal mit anderen Wutformen ins Gehege kommt, wenn auf der Bühne nicht alles so klappt, wie sie es sich gewünscht hat. Dann will sie sich „auswüten“, wie sie sagt.
Ein Plädoyer dafür, wie Frauen heute sein dürfen und sollen
Es gibt ein hinreißendes Kapitel darüber, was dann passiert. Mit feiner, kritischer Selbstbeobachtung beschreibt sie hier, wie es der „großen Frau mit Dutt“ manchmal im Theater ergeht: „Ein lauter Schrei in der Duschkabine. Das gibt’s doch alles nicht. Ich komme zwei Stunden vor der Vorstellung, mach diesen scheiß Text jedes Mal, obwohl ich den Abend schon siebzig Mal gespielt habe, und diese blöden verdammten Idioten bekommen diesen Einspieler nicht hin. Ich fasse es nicht. Nie wieder spiele ich diesen Abend! Wie peinlich! Da kommt kein Video!“
Das Buch „Ganz schön wütend“ ist also wie Reinspergers Spiel: mutig, schillernd, verletzlich, laut und unbeherrscht. Und damit ein Vorbild und Plädoyer dafür, wie Frauen heute sein dürfen und sein sollten.
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