Literatur

Feridun Zaimoglu – Bewältigung

Stand
AUTOR/IN
Lukas Meyer-Blankenburg

Lässt sich Adolf Hitler literarisch bändigen? Kann man ein Buch aus der Sicht des Massenmörders Hitler schreiben? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Autor in Feridun Zaimoglus neuem Buch „Bewältigung“. Ein Künstlerroman, der zur Obsession wird. Eine Recherche, die im Wahn endet und den Titel des Buches, also „Bewältigung“, in neuem Licht erscheinen lässt.

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Am Anfang seiner Recherche ist der Autor in Feridun Zaimoglus neuem Buch „Bewältigung“ noch zuversichtlich. Er will Hitler literarisch bändigen, ein Buch aus Hitlersicht schreiben. Der Autor, ein norddeutscher Schriftsteller mit türkischen Wurzeln, Alter Ego Feridun Zaimoglus, streift bei dem Versuch, sich seiner Figur Hitler anzunähern, durch symbolträchtige Orte: Dachau, Bayreuth, der Obersalzberg – je länger die Recherche dauert, je öfter der Autor zum Notizblock greift, um mal schwülstige, mal deutschtümelnde, mal von Vernichtungsfantasien durchtränkte, aber immer fiktive Hitler-Zitate aufzuschreiben, desto mehr verschwimmt die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenem.

Das Gedankengift des Faschismus wirkt. Die wahnhafte Hitler-Welt wird zur umfassenden Gegenwart des Autors, der bald die Orientierung verliert, meint, durch Hitlers Augen zu schauen, die Körperhaltung Hitlers einnimmt – oder Passanten auf der Straße in merkwürdigem Hitler-Deutsch anbellt.

Im Zuge der Recherche muss er feststellen, dass er nicht mehr Herr über den Stoff ist, der entgleitet ihm – beziehungsweise: wer sich gewissermaßen mit dieser abgrundtiefen Schlechtigkeit befasst, der kann nicht glauben, dass er da ohne Schaden hinausgeht, das ist die Lehre. Es ist im Grunde genommen eine Reise bis tief in die Nacht.

Von dieser düsteren Reise erzählt „Bewältigung“ in einem atemlosen Stakkato. Die Obsessionen des suchenden Autors werden in kurze Sätze gehämmert, rasche, manchmal kaum merkliche Szenenwechsel vollziehen sich, Feridun Zaimoglu arbeitet mit Rückblenden und fiktiven Monologen Hitlers. Sein Buch, sagt er, sei der Versuch einer Faschismusstudie mit literarischen Mitteln. Fast bezeichnend, dass „Bewältigung“ zu einem Zeitpunkt erscheint, da auf der documenta ein Antisemitismus-Skandal hochkocht.

Es ist leider so, dass dieses Buch nicht un-aktuell ist. Diese deutsche Geschichte, da kann man nicht einen Schlussstrich drunter ziehen, das wäre äußerst dumm.

„Bewältigung“ ist auch und vor allem ein Buch für die Vernichteten, deren Fehlen der Autor bis in die Gegenwart hinein empfindet. Er habe mit dem Buch schreibend über den Verlust der der vielen Opfer Hitlers hinwegkommen wollen, sagt Feridun Zaimoglu. Entstanden ist ein Text, von dem er selbst sagt, dass er ihn – im Vergleich zu seinen vielen anderen Romanen – wohl am längsten begleiten wird, ein Buch, das ihn tief bewegt hat.

Ich habe dreieinhalb Jahre in der harten Corona-Zeit unter anderem auch an diesem Buch geschrieben und recherchiert. Es ist tatsächlich finster, eine finstere Welt, aber ich glaube schon, dass ich nicht einfach das Buch als geschrieben und abgehakt ansehen kann. Ich habe wirklich den Verdacht, dass ich damit noch einige Jahre zugange sein werde.

„Bewältigung“ ist ein schlankes Buch, knapp 270 Seiten, doch die Lektüre wiegt schwer in der Hand. Der mehrdeutige Titel lässt einen zweifeln, wer zum Ende des Textes hier wen be- oder besser: überwältigt. Der Gegenwart faschistischen Denkens setzt Feridun Zaimoglu mit „Bewältigung“ ein nachdenkliches Werk entgegen.

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Lukas Meyer-Blankenburg