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Elisabeth Badinter – Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder

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AUTOR/IN
Clemens Klünemann

Die 1944 geborene Elisabeth Badinter zählt zu den einflussreichsten Intellektuellen Frankreichs. Sie war Professorin und ist Autorin zahlreicher Bücher, die um Identitäts- und Geschlechterfragen kreisen. Schon lange ein Klassiker ist ihr Buch "Die Mutterliebe"; jetzt ist erschienen: "Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder".

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Spätestens seit vor über 10 Jahren Elisabeth Badinters Buch Der Konflikt. Die Frau und die Mutter in Deutschland erschien, gilt die französische Philosophin und Publizistin als Vorkämpferin für ein fortschrittliches Frauenbild, das durch das falsche Ideal einer perfekten Mutter bedroht werde – nämlich dem Kind oder den Kindern ständig den Vorrang einzuräumen vor sich selbst, dem Partner und vor allem der eigenen Berufstätigkeit. „Wunderbar ist an diesem neuen Buch von Badinter die polemische Verve, mit der die Autorin – selber Mutter von drei Kindern! – die absurden Zumutungen dieses Mutterbildes herausstreicht“, jubelte seinerzeit die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken in einem Artikel der EMMA unter der Überschrift ‚Badinter contra deutschen Mief‘. Umso mehr lässt der Titel des in diesen Tagen auf Deutsch erscheinenden neuesten Buchs der französischen Publizistin aufhorchen: Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder.

Offenbar knüpft die Autorin an ihr vor sechs Jahren ebenfalls im Wiener Zsolnay-Verlag erschienenes Buch Maria Theresia. Die Macht der Frau an, in dem es ihr nach eigenem Bekunden darum ging, „zu begreifen, wie diese mächtige Frau ihre unterschiedlichen sozialen Rollen miteinander vereinbaren oder eben nicht vereinbaren konnte.“ Diese Herausforderung sei – so schrieb Elisabeth Badinter seinerzeit – den Männern unbekannt, den Frauen des 21. Jahrhunderts jedoch sehr vertraut; woran man angesichts der Fragen, die sich heutige junge Eltern sowohl in Frankreich wie in Deutschland stellen, füglich Zweifel anmelden kann.

Umso erwartungsvoller schlägt man den jüngst erschienenen Band über Macht und Ohnmacht einer Mutter auf – und wundert sich gleich zu Beginn über die Feststellung, dass die Kaiserin von Österreich bei der Erziehung ihrer 16 Kinder „einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Mütter“ begründet habe, „der sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte: die bürgerliche, aktive Mutter, die sich für Leben und Zukunft jedes ihrer Kinder verantwortlich fühlte.“ Maria Theresia, eine Vertreterin des deutschen Hochadels, als Avantgardistin einer bürgerlichen Erziehung ihrer Kinder? Was Elisabeth Badinter in den vier Kapiteln ihrer Studie zusammenträgt, zeigt in der Tat Macht und Ohnmacht einer Mutter, deren Hauptanliegen indes wohl kaum das Glück des einzelnen Kindes war, sondern das Wohl der Habsburger-Monarchie, dem die Heiratspolitik der Mutter diente. Ihre Kinder hatten in den für sie arrangierten Ehen mit den Kindern anderer gekrönter Häupter Europas zu funktionieren – und wenn ihnen dies gelang, war ihnen die Zuneigung der Mutter gewiss; allerdings nur solange, wie die Nachrichten der allfällig als Begleiter und Hofmeister deklarierten Spione der Mutter dieses Gelingen bestätigten. Andernfalls ließen die drohenden und strafenden Briefe der Kaiserin an die Höfe von Parma, Neapel oder Versailles nicht lange auf sich warten.

Die, zumindest in Frankreich, berühmteste Tochter Maria Theresias, nämlich Königin Marie-Antoinette, die mit ihrem Mann 1793 dem revolutionären Schafott in Paris zum Opfer fiel, ist vielleicht der Anlass dieses an kulturwissenschaftlich interessanten Details reichen Buchs. Womöglich hat die französische Philosophin und Frauenrechtlerin Badinter bei der – durch die Quellen nicht immer gedeckten – Betonung von Herzensgüte, Milde und Anteilnahme der österreichischen Kaiserin eine Art Gegenbild zur strengen und herzlosen Etikette des Hofs in Versailles zeichnen wollen. Dass Maria-Theresia aus machtpolitischem Kalkül ihre 15-jährige Tochter Antonia den Intrigen des französischen Hoflebens auslieferte, entsprach durchaus den Gepflogenheiten dynastischer Heiratspolitik des 18. Jahrhunderts – von Herzenswärme und Zuneigung zeugt es jedoch ebenso wenig wie von bürgerlicher Verantwortung für die Tochter.

Und noch etwas erstaunt an Elisabeth Badinters jüngstem Buch: Warum sucht sie ausgerechnet das Beispiel einer Kaiserin mit Hofstaat und schier unendlichen Mitteln, um die Zerrissenheit einer Frau zwischen den Aufgaben ihres Amtes und der Mutterliebe zu ihren Kindern zu zeigen? Dass sie mit ihrem jüngsten Buch die unbedingte Geltung dieses Gefühl ins Recht zu setzen sucht, relativiert übrigens manches von dem, wofür sie gerade von deutschen Feministinnen überschwänglich gelobt wurde.

Zsolnay Verlag, 205 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-552-07344-9

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Clemens Klünemann