Literatur

Bis 2114 geheim: Judith Schalanskys Buch wird Teil der norwegischen Future Library

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AUTOR/IN
Anja Höfer
ONLINEFASSUNG
Lydia Huckebrink

Für das Kunstprojekt schreiben 100 ausgewählte Autorinnen und Autoren Texte, die erst im Jahr 2114 veröffentlicht werden. Auch die Fichten, aus deren Holz in 91 Jahren das Druckpapier entstehen soll, wurden schon gepflanzt. In diesem Jahr übergab die deutsche Autorin Judith Schalansky ihr geheimes Skript in einer feierlichen Zeremonie in einem Osloer Wald an die Bibliothek.

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Ein literarisches Vermächtnis für die Zukunft

Sogar Kronprinzessin Mette Marit gab sich die Ehre und kam mit fröhlichem Hund und Wanderschuhen in die Oslo Marka, einen lichten Wald nahe der berühmten Sprungschanze Holmenkollen. Sie war Teil der mindestens tausendköpfigen Pilgerschaft aus Buchliebhabenden und Neugierigen, die sich am Sonntag durch die Waldwege schlängelte, um dann der feierlichen Manuskriptübergabe auf einer Lichtung beizuwohnen.

In diesem Jahr übergab Judith Schalansky als neunte Autorin – nach unter anderen Margaret Atwood, Karl Ove Knausgard und Tsitsi Dangarembga – ihr Manuskript für die Future Library:

„Fusseln und Splitter – eine Chronik“: So lautet der deutsche Titel des Skripts von Judith Schalansky, über das ansonsten nichts verraten werden darf. Denn gedruckt und damit öffentlich wird es erst im Jahr 2114.

Das Druckpapier muss erst noch wachsen

Die schottische Künstlerin Katie Paterson, Initiatorin des Projekts, hat an der Stelle, an der seit 2014 jedes Jahr das Ritual der Übergabe stattfindet, tausend Fichten gepflanzt. Sie werden in 91 Jahren gefällt und zu ebenjenem Papier verarbeitet, auf das dann die Werke aller einhundert Autorinnen und Autoren der Future Library als Anthologie gedruckt werden.

Autorin Judith Schalansky stellt ihren Beitrag in ein Fach in der Future Library in Oslo. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / NTB | Frederik Ringnes)
Illustre Runde: Autorin Judith Schalansky folgt auf Margaret Atwood, Karl Ove Knausgard und Tsitsi Dangarembga.

Für Judith Schalansky steht der Text selbst aber gar nicht so sehr im Mittelpunkt. „Das Geheimnis, das verhängt worden ist über diese Texte, erlaubt uns, ganz viele Geschichten zu erzählen“, sagt die Autorin. „Ich glaube, in einer Welt, in der wir alles sofort haben können, ist es ganz wichtig, dass es Dinge gibt, die uns verborgen bleiben.“

Was wird sein – im Jahr 2114?

Das Besondere und Berührende an dem Projekt Future Library ist, dass es Menschen über einen langen Zeitraum miteinander verbindet, dass es eine Brücke in die Zukunft schlägt.

Alle Anwesenden an diesem sonnigen Maitag sind sich bewusst, dass sie das Jahr 2114 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr erleben werden. Dennoch gibt es die Hoffnung, dass es auch in hundert Jahren noch Menschen gibt, die sich für gedruckte Bücher interessieren.

Projekt verbindet über Grenzen hinweg

Zur Freude von Anne Beate Hovind, der Vorsitzenden der Future Library Stiftung, wächst die Gemeinde der Future Library von Jahr zu Jahr stetig. Das Ritual der Manuskriptübergabe ist jedes Mal wieder ein hoch emotionaler Moment für sie.

Das Projekt habe sehr viel mit unserem Selbstverständnis als Menschen zu tun. „Es geht um Hoffnung, um Vertrauen, Rituale, um Langzeit-Denken, unabhängig davon, woher wir kommen“, sagt Hovind. „Es überwindet ethnische Zugehörigkeit, Grenzen, Sprachen und Religionen. Es führt uns an den Punkt zurück, wo wir verstehen, wer wir eigentlich sind – als Menschen.“

Judith Schalanskys Text im Dornröschenschlaf

Judith Schalanskys auf alterungsbeständigem Papier ausgedrucktes Manuskript wird nun seinen Dornröschenschlaf schlummern: in einem speziellen, organisch geformten Raum aus Holz in der neuen, modernen Deichmai-Bibliothek in Oslo.

Wer es dann in der ferneren Zukunft zu neuem Leben erwecken wird, das steht noch in den Sternen. „Es geht darum, dass wir darüber nachdenken und uns klar wird: In 91 Jahren wird die Welt ganz anders sein“, sagt Schalansky. „Hoffen wir, dass Bäume, Bücher und Menschen mit Imaginationskraft noch dazu gehören werden.“

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