Die Ehe müsse abgeschafft werden, denn sie sei ein patriarchales Unterdrückungsinstrument, sagt die Autorin und Politologin Emilia Roig. Sie funktioniere heute zwar wesentlich subtiler als früher, aber dennoch werde eine echte Gleichberechtigung verhindert. In SWR2 spricht Roig über ihr neues Buch „Das Ende der Ehe“.
Ehe: eine Institution der Ungleichheit?
Die Ehe sollte als Institution abgeschafft werden, denn in ihrem Kern geht es um Ungleichheit und Diskriminierung. Das fordert Emilia Roig in ihrem neuen Buch „Das Ende der Ehe“.
Nicht die Liebe oder die Zuneigung in der Partnerschaft sei dabei das Problem, urteilt die Gründerin des Center for Intersectional Justice in Berlin. Das Problem bestehe vielmehr in der gesetzlichen Infrastruktur und den steuergesetzlichen Regelungen, die „Frauen in eine Sphäre drängen, die zu ihrer Diskriminierung führt“.
Auch heute fußt das System Ehe auf finanzieller Abhängigkeit
Trotz der Erfolge der feministischen Bewegung bleibe die Ehe im 21. Jahrhundert ein Instrument patriarchaler Unterdrückung, meint Roig. Frauen gäben in der Ehe zu häufig ihre Selbstbestimmung ab.
Unsere Gesellschaft fördere nach wie vor ein Partnerschaftssystem, in dem eine Person mehr Geld verdiene und der oder die Partnerin, meistens die Frau, in die Teilzeitarbeit gezwungen werde. Der Hauptverdiener gewinne durch seine finanzielle Macht auch innerhalb der Beziehung an Status, der bzw. die Andere verliere zwangsläufig an Status, wenn sie die Kernarbeit – Haushalt, Pflege und Kindererziehung – übernehme.
„Wir sollten in einer Gesellschaft leben, wo diese Arbeit fair bezahlt wird und wo die Person, die diese Arbeit übernimmt, nicht an Status verliert, weil das ist eine unerlässliche Arbeit auf gesellschaftlicher Ebene.“
Die Autorin fragt daher, warum wir an einer Institution festhalten sollten, deren Grundlage eine Ungerechtgkeit ist und wohl auch bleiben werde.
Die edelste, wichtigste Form der Arbeit
Im Untertitel ihres Buches fordert Roig eine „Revolution der Liebe“. Sie meine das auf gesellschaftlicher Ebene, erklärt die Politologin. Pflegearbeit müsse aufgewertet werden.
In der kapitalistischen Gesellschaft werde diese Art der Arbeit unsichtbar gemacht und entwertet. Dabei handle es sich um die für unsere Gesellschaft wichtigste Aufgabe und müsse als die edelste, wichtigste Form der Arbeit betrachtet werden.
Roig fordert daher eine Aufwertung durch Bezahlung: Ein Teil des Gehalts des bzw. der Lohnarbeitenden müsse der Person zustehen, die in einer Beziehung die Pflegearbeit mache.
Emilia Roig wurde 2022 zur „Most Influential Woman of the Year“ des Impact of Diversity Award gekürt. Sie hält regelmäßig Vorträge zu Intersektionalität, Feminismus, Rassismus und Diskriminierung.
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