Dany Lafferrière: Ich bin ein japanischer Schriftsteller (Foto: Pressestelle, Laferrière©Wunderhorn)

Buch der Woche

Dany Laferrière - Ich bin ein japanischer Schriftsteller

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AUTOR/IN
Nora Karches

Wenn man in „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ liest (man muss das nicht von vorne nach hinten tun), dann ergeben sich immer neue Blickwinkel auf eine der wichtigsten Debatten unserer Tage: Die nach Identität, Nationalität  und Gleichberechtigung.

Das Buch ist im September auch Platz eins der SWR-Bestenliste.

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Dany Laferrières Debüt „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben, ohne zu ermüden“ hat in USA spätestens seit der Verfilmung 1990 längst Kultstatus.

2013 ist der mehrfach ausgezeichnete Autor als zweiter Schwarzer in die renommierte Académie française gewählt worden, über sich selbst sagt er, er habe länger in einer Fabrik gearbeitet als an einer Uni studiert.

Autor Dany Laferrière (Foto: Pressestelle, Wunderhorn Verlag)
Autor Dany Laferrière

Der Ich-Erzähler sieht sich als Japaner, obwohl er noch nie vor Ort war

„Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ ist im Original 2008 erschienen – Mikroerzählungen, unterhaltsam, klug, sehr oft überraschend. Ein Schriftsteller schreibt über einen schwarzen Schriftsteller, der noch nie in Japan war, aber meint: Ich bin ein japanischer Schriftsteller, weil: Ich werde dort ja gelesen.

Dany Laferrières Roman ist ein erstaunlicher Text. Ein Sturz ins Bodenlose: Ein Roman über die Entstehung eines Romans, in dem ein schwarzer Mann in Montreal sich als ein japanischer Schriftsteller begreift.

Bei der Lektüre sucht man als Leser vergebens nach festem Boden

Dabei erweist sich die Geschichte immer wieder als Teil einer weiteren Geschichte. Den festen Boden der Realität erreicht man beim Lesen scheinbar nie. Doch der Reihe nach:

Als Protagonist des autofiktionalen Romans begegnet uns ein Mann, der sich für eine Existenz in der Horizontalen entschieden hat.

Sein Leben als Schriftsteller findet in erster Linie an zwei Orten statt: In der Badewanne, dort liest er, und im Bett, dort schreibt er. Wenn er doch mal rausgeht, dann gibt er Statements zu seinem neuen Buchprojekt. Selbst beim griechischen Fischhändler:

Nur um seine Reaktion zu prüfen, warf ich ihm beim Hinausgehen zu: „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“. Jetzt schaute er mich wieder an: „Was heißt das? Haben Sie die Nationalität gewechselt?“ – „Nein, das ist der Titel meines neuen Buchs.“ Er warf seinem Gehilfen einen leicht verunsicherten Blick zu. (...) „Dürfen Sie das überhaupt?“

Die Nationalität eines Autors entspricht für den Protagonisten der Nationalität seiner Leserschaft

Mit seinen Vorstellungen von kultureller Identität sorgt der Ich-Erzähler selbst im weltoffenen Kanada für Irritationen.

Denn auf die Frage, ob er ein haitianischer, karibischer oder frankophoner Schriftsteller sei, hat er immer dieselbe schräge Antwort parat: Für ihn entspreche seine Nationalität der seines Lesers oder seiner Leserin.

In Tokyo wird man schon bald auf den Protagonisten aufmerksam

Und wenn man ihn in Japan lese, dann mache ihn das allein bereits zu einem Japaner. Kurios-komische Alltagsszenen wechseln von nun an mit Passagen essayistischer Reflexion. 

Das Klischee steht mit Sicherheit über jeder Moral. Es ist da, rund, geheimnisvoll und ewig. Es schaut uns lächelnd an. Mit einem Klischee kann man selbst nichts anfangen, außer es dem Absender zurückzuschicken. (...) Ein toter Punkt. Das Klischee durcheilt Zeit und Raum in Lichtgeschwindigkeit. An seinem toten Punkt tritt immer Schweigen ein.

Während der Ich-Erzähler noch sinniert und in Montreal für sein Buch recherchiert, indem er für 25 Cent Frauenzeitschriften mit Artikeln über Japanerinnen kauft, berichtet die erste hippe Kulturzeitschrift aus Tokyo über den schwarzen Schriftsteller.

Immer wieder wird mit den Erwartungen der Leser gespielt

Weiterhin hat der keine einzige Zeile geschrieben, doch in Japan – so erfährt man gegen Ende des Romans von der japanischen Sängerin Midori – hat der Roman bereits eine Mini-Revolution ausgelöst.

Spätestens als dann noch ein japanischer Offizier verkündet, er sei ein koreanischer Soldat und sich Midori, die bei Dany Laferrières Protagonisten eben noch im Zimmer stand, als dessen Hirngespinst entpuppt, verliert man endgültig den Boden unter den Füßen.

Schon beim Lesen des Titels „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ kommt man nicht umhin, an den Vorwurf kultureller Aneignung zu denken.

Für Laferrière ist es Aufgabe eines Autoren, eine neue Welt zu erschaffen

Und tatsächlich, das Buch ist gerade erst aufgeschlagen, da steht da schon die anfangs zitierte Frage: „Dürfen Sie das überhaupt?“ Dany Laferrière hat sie im französischen Fernsehen vor kurzem selbst beantwortet.

Eine neue Welt zu erschaffen sei doch die Aufgabe von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Seine Bücher zumindest beginnen immer mit einem Traum, sagt er.

Ein Traum von einer Welt, in der ein auf Haiti geborener schwarzer Mann ein japanischer Schriftsteller sein kann. Nur wenn wir aufhören, uns selbst und uns gegenseitig ständig zu etikettieren, kommen wir an in der postracial society.

Grundsatzfragen der Identität werden umgedreht

Und tatsächlich, während wir uns scheinbar noch in Identitätsfragen verheddern, gelingt es Dany Laferrière in den besten Momenten von „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“, eine Fackel in diesem gewaltigen Raum zu entzünden, in dem bisher noch niemand gewesen ist.

Die Frage „Von wo sprichst du?“, also die Frage, die wir heute zuerst stellen, wenn es um Identität geht, dreht er einfach um: „Und von wo liest du?“.

Rassismus wird als absurd entlarvt

Er hält uns den Spiegel vor. Rassistische Vorurteile wirbelt er so lange durch die Luft, bis er sie als das entlarvt hat, was sie sind: absurd.

Und so wird deutlich: Zwischen sogenannten essentialistischen Definitionen von kultureller Identität auf der einen und identitärer Überdetermination auf der anderen Seite geht Dany Laferrière einen dritten Weg.

Er weist sich damit als ein bedeutender, aber in Deutschland noch viel zu unbekannter Schriftsteller aus. Der kleine Heidelberger Verlag „Das Wunderhorn“ veröffentlicht den im Original vor zwölf Jahren erschienenen Roman nun genau zum richtigen Zeitpunkt in einer gelungenen Übersetzung von Beate Thill.

Trotz des ernsten Themas bleibt der Roman witzig und zugänglich

Man kann die Relevanz von „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ nicht hoch genug hängen: In Dany Laferrière verbindet sich die intellektuelle Schärfe einer Zadie Smith mit der Imaginationskraft eines Jorge Luis Borges.

„Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ ist ein mit allen diskurstheoretischen Wassern gewaschener Roman, der bei alledem ein zugänglicher, witziger und nach allen Seiten offener Text bleibt.

Die lockere Gliederung in Mikroerzählungen erlaubt es, zu- und auszusteigen wie man möchte. In der überhitzten Debatte um Identität wirkt der Roman heute wie eine Ladung frischer Sauerstoff.

SWR Bestenliste September Platz 1 auf der SWR Bestenliste September: „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ von Dany Laferrière

Laferrières Protagonist ist Schriftsteller. In Japan war er noch nie. Als er ankündigt ein Buch mit dem Titel „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ zu schreiben, schlagen die Wogen hoch. Ein Schlag gegen alle Stereotypen.

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Nora Karches