Buchkritik

Dana Grigorcea - Die nicht sterben

Stand
AUTOR/IN
Ulrich Rüdenauer

Transsilvanien ist ein mythisch besetzter Raum – und hier siedelt Dana Grigorcea ihr neues Buch „Die nicht sterben“ an: Es ist eine kunstvolle Dracula-Geschichte, ein Künstlerinnen-Roman, eine Farce, und das alles erzählt mit großer Sprachkraft.

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Die Vergangenheit lässt sich nicht vergessen

Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach überwinden, „verarbeiten“ oder gar vergessen – natürlich ist das eine Binse. Wahr bleibt es doch: Je mehr man versucht, Gras über Vergangenes wachsen zu lassen, desto gespenstischer und schockierender ruft sie sich zuweilen ins Gedächtnis:

„Er lag auf dem Grabstein mit den beiden abgebildeten Hunden, aber als ich ihn anfasste und er sich automatisch wegdrehte, rann mir etwas über die Hand, und ich starrte in die ausgehöhlten Augen, aus denen mir Fliegen entgegenschwirrten.
Aus dem Mund drang ein Schwall dunklen Bluts, während er die zerfledderten Lippen schürzte wie zu einem Kuss.
Ich weiß noch, dass ich schnell die Leiter hinaufgestiegen bin und oben den später von allen Medien zitierten Satz gesagt habe: ‚Da ist jemand.‘“ (Dana Grigorcea - Die nicht sterben)

Der historische Fürst Vlad wurde berühmt durch seine Grausamkeiten

Das Familiengrab in der rumänischen Kleinstadt B. – gelegen in der Walachei, südlich von Transsilvanien in den Karpaten – birgt ein unschönes Geheimnis: Nicht nur eine geschändete Leiche kommt in der Gruft zum Vorschein. Sondern dazu noch das Grab Draculas, des historischen Fürsten Vlad, der nicht umsonst den Beinamen „der Pfähler“ trug.

Dieser Vlad hat es zu fortdauernder Berühmtheit gebracht – nicht zuletzt, weil er sich im 15. Jahrhundert gegen die Osmanen stellte, die sich gerne auf dem Balkan breitmachen wollten. Überliefert ist auch seine schier unerschöpfliche Grausamkeit, die von seinen Anhängern als ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit gefeiert wurde. Seine Feinde hat er nicht nur einfach zu Tode gebracht, sondern bestialisch pfählen lassen – auf detailliertere Beschreibungen sei hier verzichtet.

Fürst Vlad wurde in Bram Stokers Roman zu „Dracula“

Nicht zuletzt ist es dem britischen Autor Bram Stoker und seinem bekanntesten Roman „Dracula“ zu verdanken, dass der walachische Fürst in unserer kollektiven Schreckenserinnerung einen festen Platz einnimmt. All das spielt eine Rolle in Dana Grigorceas neuem Roman „Die nicht sterben“, in dem einige Untote herumspuken, Vampire die Tourismusindustrie ankurbeln sollen und die Geschichte, die man gerne hinter sich ließe, in der Gegenwart fröhliche Urständ feiert.

„Ich will Ihnen also von dieser Erfahrung erzählen, redlich und ohne Umstände: Schritt für Schritt auf das zu, wovor mit graut.“ (Dana Grigorcea - Die nicht sterben)

Die Ich-Erzählerin kehrt nach dem Studium in die Kleinstadt B. zurück

Die Ich-Erzählerin ist eine junge Malerin aus Bukarest, die eine enge Beziehung zu ihrer Großtante Margot pflegt – der Kosename Mamargot deutet schon auf die mütterliche Zuneigung, die sie der Nichte entgegenbringt.

Mamargot stammt aus dem Großbürgertum, und in ihrer Villa in der Kleinstadt B. haben durch die Zeiten der Diktatur hindurch gewisse kulturelle und sittliche Normen überlebt. Die Erzählerin hat glückliche Kindheitstage in B. verbracht. Nach ihrem Studium in Paris kehrt sie als Künstlerin dorthin zurück.

Der Fund der gepfählten Leiche kommt Alt-Bürgermeister Sabin gerade recht

Das Schwellenjahr 1989 ist überschritten, mit dem in Rumänien als Dracula titulierten Nicolae Ceaușescu wurde samt Gattin kurzer Prozess gemacht, aber die Sehnsucht nach einer starken Hand, nach einem für Recht und Ordnung sorgenden Herrscher schwelt weiter.

Auch in der Kleinstadt B. sehnt mich nach neuen alten Zeiten, nach Aufbruch und Rückkehr zugleich. Der sich in allen Systemen gut zurechtfindende Alt-Bürgermeister Sabin hat hier das Sagen. Gerne würde er einen Dracula-Park errichten. Der Fund der gepfählten Leiche, von der schon die Rede war, kommt ihm da gerade recht. Nicht nur das: Mit der Verstümmelung des armen Toten namens Traian hat er sogar einiges zu tun.

„Sein sogenannter Witz, die selbstgefällige Ironie, wird geschätzt, die abfällige Art, über die anderen zu reden, ist hier im Ort jedem geläufig. Und doch, als er über Traian erzählte, sah ich ihn als Ursprung allen Übels in B. – ein zynischer Verhinderer allen Lebens.“ (Dana Grigorcea - Die nicht sterben)

Dana Grigorcea beschreibt die politischen Bruchstellen der Nachwendewelt

Dana Grigorcea entwickelt ein komplexes Tableau einer nachkommunistischen Gesellschaft, deren Fundament ziemlich brüchig ist: Wo man auch geht und steht, lauern Abgründe, finden sich alte Grabstätten, Knochen von Vorfahren, Widergänger. Geister irrlichtern durch die Gegenwart, sich erhebend aus düsteren Epochen.

Die verschiedenen Zeiten verschwimmen in der Erzählung dieser Autorin, die hellwach und mit hochpoetischen Mitteln ihren Blick auf die politischen Bruchstellen der Nachwendewelt richtet – auf ein traumatisiertes Land, das seine Zukunft noch nicht gefunden und seine Vergangenheit noch lange nicht ad acta gelegt hat. Alles hat miteinander zu tun. Alles geht auch durcheinander.

„Unzählige Male habe ich meine Aussage gelesen, dass ich die Reihenfolge der Geschehnisse verwechseln könnte, weil keinerlei Reihenfolge einen Sinn ergibt. Nun aber will mir scheinen, dass gerade das Gegenteil stimmt, dass also jegliche Reihenfolge einen Sinn ergibt, da es nicht um Ursache und Wirkung geht, sondern nur um eines: Schicksal.“ (Dana Grigorcea - Die nicht sterben)

Kunst ist ein Gegenentwurf zu Verkommenheit, Gewalt und Korruption

Für die Leserin und den Leser heißt das: Sich dem ruckelnden Erzählrhythmus zu überlassen. Sich den teils grotesken Wendungen dieses Buches anzuvertrauen. Die historischen Passagen nicht nur als Vorgeschichte zu betrachten, sondern als fast schon mythisch-schicksalhafte Prophezeiung.

Dana Grigorcea, die 1979 in Bukarest geboren wurde, sagte in einem Interview, dass ihr Buch nicht nur von den vampiristischen Zügen im heutigen Rumänien handele. Mindestens so sehr geht es darin um die Kunst. Sie, die Kunst, ist mit ihrer eigenen Wahrheit im Roman – und in der Wirklichkeit – ein Gegenentwurf zu Verkommenheit, Gewalt und Korruption.

Grigorceas malende Heldin sei eine genaue Beobachterin, sie erfreut sich „an Farben und Formen und Stimmungen und gleicht diese Bildern an, die sie kennt“. Farben, Formen, Stimmungen: In Grigorceas Literatur gibt es all das im Überfluss. Und das ist besonders erstaunlich, weil sie aus dem Dunklen und dem Grausigen schöpft.

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Ulrich Rüdenauer