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Claudia Kemfert – Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden

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AUTOR/IN
Johannes Kaiser

Claudia Kemfert, Professorin für Energieökonomie und Leiterin der DIW Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt ist eine gefragte Energieökonomin, die unter anderem die Bundesregierung und die EU berät. Seit langem erforscht sie die Bedingungen der Energiewende, beklagt jetzt vehement die politischen Verzögerungen, warnt vor dem weiteren Gebrauch fossiler Brennstoffe. Ihr neues Buch ist eine Abrechnung mit der deutschen Energiepolitik der letzten beiden Jahrzehnte.

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Verärgerung über die Energiepolitik der letzten Regierungen

Keine Frage: Dieses Buch ist das Ergebnis starker Frustration. Die Energieökonomin Claudia Kemfert, Mitglied mehrerer Beratungsgremien für Energie, macht keinen Hehl aus ihrer Verärgerung über die Energiepolitik der letzten Regierungen. Sie alle haben ihrer Ansicht nach versagt und Deutschland offenen Auges in eine dramatische und, wie sich mit dem Ukraine-Krieg gezeigt hat, gefährliche Energieabhängigkeit von Russland geführt.

Bekannt ist, dass 55 Prozent des deutschen Gases sowie 50 Prozent der Steinkohle und 35 Prozent des Erdöls bis vor wenigen Monaten aus Russland bezogen wurden.

Keine Behauptungen, sondern konkrete Fakten im Zentrum der Analyse

Dabei hat es, wie Claudia Kemfert an zahlreichen Beispielen aus wirtschafts- und energiewissenschaftlichen Studien zeigt, an Warnungen vieler unabhängiger Energieexperten, insbesondere auch der Autorin, nie gefehlt. Doch die Politik hat darauf nicht hören, geschweige denn reagieren wollen, ist vielmehr jenen gefolgt, die sie immer stärker in die fatale Erpressbarkeit getrieben haben: den deutschen Energiekonzernen EON und RWE. Diese beiden Monopolisten auf dem deutschen Gasmarkt hatten, so weist Kemfert nach, keinerlei Skrupel, sich mit Haut und Haaren in die wirtschaftliche Abhängigkeit des russischen Gaskonzerns Gazprom zu begeben. Dafür winkten satte Gewinne.

Das sind alles keine puren Behauptungen oder Mutmaßungen. Claudia Kemfert stützt sich in ihrem Buch auf konkrete Zahlen, Statistiken, wissenschaftliche Untersuchungen unabhängiger Forschungsinstitute. Dazu gehört auch das DIW, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, immerhin die größte deutsche unabhängige Forschungseinrichtung, dem sie als Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt seit 2004 angehört.

Warnungen seit 2006

Schon 2006 hat ihr Institut vor der gefährlichen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gewarnt, größere Diversifizierung und mehr Anstrengungen beim Ausbau der Erneuerbaren gefordert.

Heftig attackiert die Autorin den unter Merkel dafür zuständigen Minister und Kanzleramtschef Altmeier sowie seine den Erneuerbaren Energie ablehnend gegenüberstehenden Mitarbeiter. Die blockierten den Ausbau der Erneuerbaren und würgten sie mit fake news ab, indem sie meldeten, die Energiewende würde bis 2030 eine Billion Euro kosten. Sie verschwiegen dabei wohlweislich, dass, so Kemfert, „die Kosten des Klimaschutzes … erheblich geringer als die Kosten des Klimawandels“ sind. Ergebnis der Blockade: hunderttausende vernichtete Arbeitsplätze in den Industriebereichen der Erneuerbaren.

In so drastischer Weise hat noch niemand die Energiepolitik seit 2005 vorgeführt

In so drastischer, teilweise sarkastischer und ironischer Beweisführung hat bislang keine Autorin, kein Autor die verfehlte Energiepolitik seit 2005 vorgeführt. Es ist allerdings ein bisschen ermüdend, wie oft sie dabei auf ihre eigenen Warnungen und die zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verweist.

Sehr ausführlich geht Claudia Kemfert auf über zwei Dritteln ihrer – anders kann man es nicht nennen – Abrechnung mit der deutschen Klimapolitik auf die energiewirtschaftlichen und politischen Versäumnisse der CDU- und SPD-Politik unter Kanzlerin Merkel ein. Für sie ist Deutschland vom Vorreiter der Energiewende, wie es das unter Rot-Grün war, zum Nachzügler geworden. Und selbst die Ampelkoalition begeht für sie trotz insgesamt richtiger Energieziele den Fehler, bei akuten Übergangslösungen zu stark auf fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas zu setzen. Das, so führt sie in ihrem vorletzten Kapitel aus, ist gar nicht notwendig, wenn man denn den Ausbau der Erneuerbaren wirklich sofort und massiv fördern würde.

Sie plädiert im sehr kurzen, letzten Kapitel für erheblich mehr Bürgerbeteiligung. Anhand konkreter Beispiele zeigt sie, wie Gemeinden sich weitgehend aus der Abhängigkeit der Energiekonzerne befreien und eine eigene Energieversorgung aufbauen können. Hier hätte man von der Energieökonomin gerne mehr Details erfahren und konkrete Vorschläge bekommen.

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