Sachbuch

Bunte Historie: „Queer” – Die erste queere Geschichte Deutschlands

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AUTOR/IN
Christian Batzlen

Das Buch „Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute“ stellt Verbindungen zwischen historischen Fakten und aktuellen Debatten her. Autor Prof. Benno Gammerl beleuchtet 150 Jahre queerer Subkultur mit vielen Quellen und Verweisen – darunter Perspektiven, die von der cis-schwulen und cis-lesbische Geschichtsschreibung bislang überschattet wurden.

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Bereits 1920 wurden heteronormative Grenzen überschritten

Das Lila Lied war die erste queere Hymne. Ein stolzer Text aus dem Jahr 1920, einer bunten Zeit zwischen den Weltkriegen, zwischen sexueller Auf- und Ablehnung und auch einem ersten breiteren Überschreiten heteronormativer Grenzen.

„Es kam plötzlich ein Zeitschriftenmarkt zur Blüte, mit "Die Freundin", "Das Dritte Geschlecht" (eine Transvestitenzeitschrifft) oder "Die Insel" – also eine enorm lebendige Subkultur, weil viele das sogar vielleicht interessant und spannend fanden” so Autor Gammerl über diese Zeit.

Schon die Urväter der Sexualforschung waren aktuellen Fragen auf der Spur

Benno Gammerl ist einer der führenden Forscher zu queerem Leben in Deutschland und nun Autor des ersten queeren Geschichtsbuchs „Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute”.

Es ist ein historischer Überblick, der zeigt, dass sich schon die Urväter der Sexualforschung rund um Magnus Hirschfeld mit einer bis heute aktuellen Frage beschäftigten: „Wie non-binär oder variabel mögen verschiedene Teile schwuler, lesbischer und queerer Communitys Geschlecht denken oder nicht” 

In seinem Sachbuch werden 150 Jahre queerer Subkulturen mit vielen Quellen und Verweisen beleuchtet und aufgearbeitet. Ein Perspektiven- und Identitätenreichtum, das von cis-schwul und cis-lesbischer Geschichte lange Zeit verdeckt wurde. Und doch eint sie jeher dasselbe Ziel.

„Im Prinzip geht es immer darum Nachzudenken: Über bestimmte Formen sexueller und geschlechtlicher Selbstverordnung, die diskriminiert und ausgeschlossen werden und die vermeintlich am Rand der sogenannten Mehrheitsgesellschaft stehen”, so Gammerl.

Ein Spektrum in steter Veränderung

Interessant ist hier auch der Versuch an mehreren Stellen zu verdeutlichen, dass queere Geschichte nicht ohne die Geschichte der Heterosexualität begriffen werden kann und umgekehrt.

Auf den 270 Seiten im informativen, doch verständlichen Stil gelingt es mehr als bei bisherigen Rückblicken zur Schwulen- und Lesbenbewegung, das breite Spektrum der Vielfalt darzustellen. Ein Spektrum in steter Veränderung.

„Die unterschiedlichen Phasen der queeren Geschichte sind in sich sehr vielschichtig und uneinheitlich und es gibt eben nicht diesen Punkt, wo man sagen könnte, so jetzt ist es fertig.“ sagt der Autor.

Gegenwart und Vergangenheit werden miteinander verbunden

Das siebte und letzte Kapitel des Buches zeigt, wie sich gerade in den letzten Jahrzehnten der bunte Blumenstrauß an Identitäten in ein selbstbewusstes und identitätspolitisches Blumenmeer verwandelt hat.

Die Stärke dieses Werkes ist nicht nur die Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit, sondern die Erkenntnis, dass sowohl in Ost- als auch Westdeutschland ein durchgehendes Erfolgsnarrativ der queeren Bewegung fehlt.

Gammerl sagt dazu: „Es gibt diese Brüche vor allem mit dem Nationalsozialismus, aber auch queerhistorisch gesehen mit den 80er Jahren mit Aids. Es gibt dieses Auf- und Ab, aber gleichzeitig gibt es auch in den einzelnen Phasen Stigma, Emanzipation und Normalität”

Queeres Leben lässt sich nicht von Normvorstellungen organisieren

Die queere Geschichte ist also eine mit Schwankungen. Der chronologische Faden des Buches veranschaulicht, dass sich politische Klimata jederzeit ändern können. Auch heute.

Heute wissen wir, dass nach den 20er Jahren die 30er Jahren kamen und die nationalsozialistische Herrschaft. Können wir nur hoffen, dass die jetzige Zukunft eine andere wird

Diese Zukunft behandelt Benno Gammerls historisches Buch nicht, aber man kann womöglich viele daraus für sie lernen. Zum Beispiel, dass es Normvorstellungen auch in 150 Jahren nie geschafft haben, queeres Leben nach ihren Vorstellungen nachhaltig zu organisieren. 

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