SWR2 Buch der Woche vom 14.10.2018

Alexa Hennig von Lange: Kampfsterne

Stand

Geschenktipp zu Weihnachten
„Ich lege Alexa Hennig von Langes 'Kampfsterne' allen Leserinnen und Lesern ans Herz, die in einer Vorstadtsiedlung wohnen und sich wundern, warum dort kein Glück zu finden ist.“
SWR2 Literaturredakteur Carsten Otte

Ein gelungenes literarisches Comeback: Alexa Hennig von Lange erzählt in ihrem neuen Roman "Kampfsterne" von drei Familien in einer Bungalowsiedlung, die sich das Leben zur Hölle machen.

Mal amüsiert, mal schockiert über den Ego-Wahn der erwachsenen Figuren, immer aber erstaunt über die Weitsicht der Kinder, verfolgt man eine Geschichte, in der es am Ende viele Verlierer gibt und es doch immer so weitergeht wie zuvor. Es handelt sich um herrlich ruppige Popliteratur auf der Höhe der Zeit, auch wenn der Roman in den 1980er Jahren angesiedelt ist.

Im Zentrum der Handlung: die Bungalowhölle

Mit einer Frau wie Rita möchte man nicht verheiratet sein. Sie zieht über ihren Mann Georg her, den sie für einen "verknorzelten Typen" hält. Über die Kinder in der Nachbarschaft lästert sie. Und sie ergeht sich in Selbsthass. Das liest sich zwar durchaus amüsant, wäre aber nur schwer zu ertragen, würde man tatsächlich mit ihr unter einem Dach wohnen.

"Ich halte mein fehlgeleitetes Leben nicht aus", sagt Rita in einem ihrer hysterischen Monologe, womit sie sich in guter Gesellschaft befindet. Unzufrieden sind im Grunde fast alle in dieser gutbürgerlichen Bungalowhölle. Aber ändern will oder kann trotzdem niemand etwas am quälenden Status quo.

Im Kleinbürgerkosmos ist man um Selbstaufwertung bemüht

Ein Sommer im Jahre 1985, Kohl ist Kanzler, Krieg und Verderben finden ausnahmsweise nicht in Deutschland, sondern anderswo in der Welt statt. Die Menschen haben im Westen des Landes allerhand Zeit. Aber das politische Bewusstsein, gegen die Atomkraft zu demonstrieren, die individuellen Freiheiten und ökonomischen Möglichkeiten können die drei Paare nicht sinnvoll nutzen. Wie "Kampfsterne" gehen sie aufeinander los.

Rita und Georg, Ulla und Rainer sowie Ella und Bernhard sind so unfähig, glücklich zu sein, dass sie auch ihren Kindern nichts mehr vorspielen können: "Meine Mutter eignet sich überhaupt nicht als Vorbild", sagt Ullas Tochter. "Sie lässt sich von meinem Vater verprügeln. Und das schon, seitdem ich denken kann."

Andere Lebensentwürfe abwerten hilft in der eigenen mickrigen Existenz

Statt sich vom prügelnden Rainer zu trennen, hält Ulla eine Fassade aufrecht, die es im Grunde gar nicht mehr gibt, vielleicht weil sie den grausamen Gatten trotz allem liebt, vielleicht auch weil sie noch ganz guten Sex mit ihm hat – ganz anders als Rita und Georg. In Bürgertum wird seit je die eigene mickrige Existenz aufgewertet, indem noch viel trostlosere Lebensentwürfe in der Bekanntschaft abgewertet werden.

Zufriedenheit sieht anders aus

Bernhard, von dem wir Leser leider nur wenig erfahren, scheint sich aus dem Kleinbürgerkosmos auf die klassische Weise herauszukatapultieren. Er amüsiert sich mit seiner Sekretärin. Weshalb seine Ehefrau Ella darüber nachzudenken, ein Leben ohne den Fremdgeher zu beginnen. Die Affäre des Partners ist für Ella die größtmögliche Kränkung und ein rücksichtsloser Angriff auf ihre Identität als Familienmensch. Schade nur, dass sie sich nicht fragt, warum der Mann sie betrügt. 

Portait einer rundum narzisstischen Gesellschaft

Die kurzen Kapitel des Romans sind jeweils mit den Vornamen der Protagonisten überschrieben, die dann in rasanten Monologen ihr Leid klagen, ihren Unmut über so gut wie alles äußern, vornehmlich aber über ihre verlotterten Beziehungen. Dabei entsteht weniger ein Portrait, als ein erschreckendes Psychogramm einer verlogenen und rundum narzisstischen Gesellschaft, die in ihrer übermäßigen Aggressionsproduktion bei gleichzeitiger Dauerbeleidigung kaum noch Maßstäbe und keine Sensibilität mehr kennt.

Da kann dann auch mal, um dem Hass freien Lauf zu lassen, das Kind einer Nachbarin entführt werden. Selbst wenn im Viertel ein Mädchen vergewaltigt wird, verlassen die Eltern nur langsam den emotionalen Ego-Trip. 

Psychische Muster werden von Generation zu Generation übertragen

Erstaunlich, wie die Kinder in dieser Welt überleben. Am Nachwuchs, der die bekannten Projektionsflächen für unzufriedene Eltern bietet, kann tatsächlich schon abgelesen werden, wie sich psychische Muster von Generation zu Generation übertragen, so stark gegen sie auch rebelliert wird.

Vor allem die pubertierende Constanze, die alle Cotsch nennen, dreht mächtig auf: "Alle Kinder in der verfickten Siedlung sind angeblich sonderbegabt und werden von ihren ehrgeizigen Eltern gefördert, obwohl sie im Grunde behinderte Arschlöcher sind. Ich muss mir die ganze Scheiße allein aneignen, die diese Schwachkopfkinder in den Arsch geschoben kriegen."

Die Kapitel der Kids profitieren davon, dass Alexa Hennig von Lange zuletzt zahlreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben hat. Sie kennt sich im Sound auch ihrer jüngeren Figuren gut aus. Dabei verleiht die Autorin den unterschiedlichen Mädchen und Jungen überzeugende, weil jeweils altersangemessene Erzählstimmen.

Schneller Wechsel von Kinder- und Erwachsenenperspektiven

Lexchen, die mit ihren roten Haaren wohl so aussehen soll wie Alexa Henning von Lange in Kindertagen und bei der das Nesthäkchen schon im Namen steckt, beobachtet ihre Familie mit einem herzensguten, aber keineswegs naiven Kinderblick: "Beim Essen sitze ich neben Mama und Cotsch neben Papa, weil sie keine Angst vor ihm hat."

Durch den schnellen Wechsel von Kinder- und Erwachsenenperspektiven und die im Präsens gehaltene Rollenprosa mit Sätzen wie Kampfsterngeschosse erzeugt von Lange eine außergewöhnliche Hochgeschwindigkeitsprosa, die gut passt zum grotesk-bösen Inhalt. Die wüsten Ich-Erzählungen wirken nämlich gerade deshalb so anschaulich und bedrückend, weil sie in einem Tonfall verfasst sind, den man durchaus popliterarisch nennen kann.

Dieser Pop ist keineswegs unpolitisch

Leider ist aus dem Stil, der über spielerische Erkundungen von Oberflächen auch das Innenleben der Figuren ausleuchtet, ein Etikett geworden, das in der Kritik zunehmend negativ verwendet wird. Alexa Hennig von Lange, die mit ihrem Debütroman "Relax" eine weibliche, eine besonders luftige und zugleich sehr bissige Pop-Variante in die deutschsprachige Literatur eingeführt hat, zeigt zwanzig Jahre nach ihrem erfolgreichen Erstling allerdings, wie zeitgemäß diese Form auch heute noch ist. Von der schnoddrigen Radikalität dieser Pop-Prosa könnten sich so manche Absolventen der deutschen Literaturinstitute etwas abschauen.

So radikal der Text sprachlich daherkommt, so heftig ist auch die Gesellschaftskritik. Nein, dieser Pop ist keineswegs unpolitisch.

Zwar verlegt Alexa Henning von Lange die Verwerfungen in der Vorstadtsiedlung, den neurotischen Liebeswahn, das Betrügen und Sich-selbst-Belügen, den Neid auf die Nachbarn, das gehässige Ausleben der eigenen Minderwertigkeitskomplexe in die angeblich glückseligen 1980er Jahre. Aber wer solche suburbanen Wohngegenden heutzutage besucht, wer Freunde hat, die unlängst mit großem Stolz ihr Reihenendhaus eingeweiht haben, zumeist mit billigem Grillgut, weil man nach dem Immobilienerwerb sparen muss – wer all dies kennt, wird erschrocken sein, dass mehr als dreißig Jahre vergehen können, ohne dass sich die Verhältnisse wirklich grundlegend geändert haben.

Eine Geschichte aus der Vergangenheit, die aktueller nicht sein könnte

Ein Missverständnis wäre es daher, diesen Roman als Reminiszenz zu lesen, als Reise in die gute, schlechte Generation-Golf-Vergangenheit. Kampfsterne spielt zwar in Zeiten, in denen Boris Becker noch in Wimbledon gewann. Aber es erzählt vom Hier und Jetzt, von einer Gesellschaft der Ichlinge, von Leuten, die ohne Bremsvorrichtung durch ihre Kleinbürgerwelt rasen, bis es zum erwartbaren Crash kommt.

Angesichts der vielen gesellschaftlichen Krisen und Angriffe auf die moralische und politische Basis unseres Zusammenlebens können diese „Kampfsterne“ auch als Anklage gelesen werden: Warum zum Teufel versinken diese Vorstadthelden in ihrem Privatmuff, statt sich auch mal um das zu kümmern, was jenseits des eigenen Gartenzauns geschieht? Warum nehmen sie sich so wichtig und warum sind sie zur Abwechselung nicht mal nett zueinander? So steckt in dem kurzweiligen Roman auch eine melancholische Sehnsucht der Erzählerin, es doch einmal zu versuchen, mit dem Glück, mit der Liebe.

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SWR