SWR2 Buch der Woche vom 13.02.2016

Das Leben der Elisabeth Förster-Nietzsche

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AUTOR/IN
Barbara Dobrick

Das Leben der Elisabeth Förster-Nietzsche

Hätte es Elisabeth nicht gegeben, hätten sich Friedrich Nietzsches Skripte in alle Winde verstreut. Schon zu Lebzeiten ihres berühmten Bruders baute Elisabeth Förster-Nietzsche ein Nietzsche-Archiv auf. Sie spürte Briefe und andere Handschriften ihres Bruders auf, sammelte Ausgaben seiner Werke und trug all dies für die Forschung zusammen.

Lange Zeit bloß als Gehilfin und Aufpasserin ihres berühmten, schon früh geistig umnachteten Bruders betrachtet, rückt Elisabeth Förster-Nietzsche nun erstmals selbst in den Mittelpunkt. Die Philosophin Kerstin Decker hat mit „Die Schwester“ eine hervorragende Elisabeth-Biographie geschrieben, die nicht nur durch zeithistorische und philosophische Sachkenntnis besticht, sondern auch durch einen klaren, stellenweise köstlich ironischen Ton.

hh

Elisabeth lebte ein Leben als Helferin und Vertraute

Friedrich Nietzsche war schon mit 25 Jahren Professor. Seine 1846 geborene Schwester Elisabeth konnte nur durch ihre späte Ehe promovieren. Damals wurden Frauen über Männer definiert, und Elisabeth Nietzsche wollte ihr Leben ihrem knapp zwei Jahre älteren Bruder widmen, als Helferin und Vertraute. Die Kindheit ohne Vater, mit einer schwachen Mutter und einer dominanten Großmutter hatte die Geschwister ungewöhnlich eng zusammengeschweißt. Bis die Liebe zu anderen sie trennte.

Damit beginnt Kerstin Decker, springt mitten hinein in den großen Konflikt zwischen Bruder und Schwester. Lou von Salomé hat den 37-jährigen Friedrich entflammt; Elisabeth hält das für ein Unglück und will es verhindern. Mit Lou von Salomé ist es vorbei, bevor es richtig angefangen hatte. Aber dann heiratet Elisabeth zum Entsetzen ihres Bruders 1885 einen Antisemiten, Bernhard Förster, und geht mit ihm nach Paraguay. Dieses Abenteuer endet fünf Jahre später mit dem Suizid ihres Mannes.

Da ist ihr Bruder schon geisteskrank und in der Obhut seiner Mutter. Ab 1893 leben Mutter, Sohn und Tochter Nietzsche wieder zusammen. Die Mutter pflegt den kranken Sohn. Die Tochter kümmert sich um die Verlagsangelegenheiten ihres Bruders und baut das Nietzsche-Archiv auf, erst in Naumburg, dann in Weimar, und leitet es bis zu ihrem Tod im Alter von 89 Jahren. Sie spürt Briefe und andere Handschriften des Bruders auf, kauft sie an, sichert und sichtet, was nur möglich ist. Das sei ihre große Leistung, resümiert Kerstin Decker, und niemand anders habe sie erbringen können.

Als Herausgeberin und Autorin gerät sie in Verruf

Aber Elisabeth Förster-Nietzsche schreibt auch über ihren Bruder, betätigt sich als Herausgeberin. Und in dieser Eigenschaft gerät sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Verruf. Für intellektuell überfordert halten sie schon ein paar eifersüchtige Zeitgenossen, aber – so Decker – sie „sammelt ungerührt einen ganzen Stab von Philosophen und Philologen unter ihrem Oberbefehl“, trage also keinesfalls allein Verantwortung für das, was schief lief.

Elisabeth Förster-Nietzsche ist eine tatkräftige, fleißige Frau und sehr kommunikativ. „Um 1900 wird das Weimarer Nietzsche-Archiv zum Treffpunkt der freien Geister Europas“, schreibt ihre Biografin. Nietzsches Ruhm wächst unaufhörlich, und Elisabeth Förster-Nietzsches Ansehen als Herausgeberin und Biografin wird so groß, dass sie drei Mal für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen wird.

„Niemand urteilt bestimmter als die Unwissenheit“, schreibt Kerstin Decker und setzt uns auf akribische und profunde Weise in Kenntnis – über die Familienbeziehungen, über Zerwürfnisse und Friedensschlüsse der Nietzsches. Und über die Entwicklung der Schwester als Sachwalterin, die sich persönlicher Animositäten von Freunden des Bruders ebenso erwehren musste wie allerlei Ränke ehrgeiziger Mitarbeiter – oft genug frauenfeindlich konnotiert.

Faszinierende Lektüre, die geprägt ist von Deckers eigenwilligem Duktus

Die Philosophin Kerstin Decker hat ein gewichtiges, ein reiches Werk vorgelegt. Die Lektüre fasziniert auch durch Deckers eigenwilligen Duktus. Gekonnt präsentiert sie Fakten und Beziehungsgeflechte, stellt sie in größere Sinn und Zeit erhellende Zusammenhänge und verbindet sie mit geistreichen Kommentaren, oft in Form köstlich-ironischer Sentenzen. 

Nietzsches Schwester habe das schauderhafte Frauenbild ihres Bruders widerlegt, konstatiert Decker. Aber: Je unabhängiger sie von ihm wurde, umso mehr folgte sie ihren eigenen Ansichten und unterstützte tatsächlich das Missverständnis, Nietzsche eigne sich als Philosoph der Nationalsozialisten. „Was gestern noch Lebensklugheit war“, schreibt Decker wird „Komplizenschaft mit dem Abgrund.“

Elisabeth Förster-Nietzsche starb 1935. Mehr als 80 Jahre später gibt es nun eine Biografie, die ihr umfassend gerecht wird.

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Barbara Dobrick