SWR2 Buch der Woche am 28.03.2016

Wolfgang Ullrich: Siegerkunst

Stand
AUTOR/IN
Wolfram Wessels

Neuer Adel, teure Lust

Gegenwärtig erzielen machen Künstler astronomische Preise für ihre Werke, mit denen sich deren Käufer gerne und öffentlich schmücken. "Siegerkunst" nennt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich, was dabei entsteht – und liefert reichlich Stoff zum Nach- und Weiterdenken.

Wolfram Wessels im Gespräch mit Wolfgang Ullrich

Wolfram Wessels: "Siegerkunst" ist der Titel Ihres Buches. Erklären Sie uns den Begriff, wer sind die Sieger, wer die Besiegten oder Verlierer?

Wolfgang Ullrich: Die Sieger sind sowohl ein kleines Segment der Künstler auf dem Kunstmarkt, als auch andererseits diejenigen, die sich für diese Kunst interessieren und sie kaufen, in Auftrag geben, ersteigern, sammeln. Und Sieger sind die einen wie die anderen deshalb, weil sie aufgrund ihrer Erfolge zu den ökonomisch mächtigsten Personen der Gesellschaft gehören, die das auch kundtun, die das nicht diskret behandeln, dass sie reicher sind als andere, oder dass sie mehr Erfolg, mehr Aufmerksamkeit, mehr Prominenz haben als andere, sondern die stolz darauf sind und die gerade auch das Medium Kunst dazu nutzen, noch einmal ihre Überlegenheit auch in Szene zu setzen und Distanz zu schaffen, zu der großen Mehrheit der Gesellschaft.

Bleiben wir noch mal kurz beim Begriff. Was wäre denn der Gegenbegriff: Raubkunst, Beutekunst, Museumskunst? Es gibt ja verschiedene Kunstbegriffe.

Ich sehe es eigentlich eher in so einer Tradition, es gibt sozusagen den Hofkünstler, es gibt den Ausstellungskünstler, historisch gesprochen, und jetzt gibt es den Siegerkünstler. Wobei ich auch klarmachen möchte: Nicht alle Kunst, die heute entsteht, ist Siegerkunst. Das ist ein wirklich sehr kleiner Bereich dessen, was an Kunst geschieht, aber sicher der Bereich, der in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten die mit Abstand größte Aufmerksamkeit gefunden hat.

Und was macht denn nun diesen Kunstwert der Siegerkunst aus, ist das der Marktwert?

Ja, es ist ausschließlich der Marktwert. Und man darf jetzt auch nicht dem naheliegenden Schluss verfallen, die hohen Preise, die für einzelne Werke gezahlt werden, als Indikator für eine besondere Qualität anzusehen. Sondern man muss vielleicht eher die Funktion dieser Kunst näher begreifen, um dann auch die Preise zu verstehen. Aus meiner Sicht sind diese Preise repräsentativer Natur.

Es fällt auf, dass vieles von dem, was jetzt für mich unter Siegerkunst läuft, in irgendeiner Hinsicht eine Geschmacksverletzung darstellt. Ist es besonders trashig, aus billigen Materialien, wo man sich dann fragt: Wieso Millionen für etwas, das schnell zusammengeschustert ist und vielleicht in zehn Jahren auch schon wieder verfällt. Oder es ist etwas vom Motiv her sehr Banales, sehr Obszönes, insofern auch wieder Billiges. Und das sind sozusagen die Dinge, die am meisten Geld auf sich ziehen. Es hat vielleicht auch etwas von einem Potlatch, also jemand verschwendet demonstrativ sein Geld. Das geht auf dem Kunstmarkt besser als auf allen anderen Märkten.

Ist also Siegerkunst eher ein gesellschaftliches Phänomen, denn ein Kunstgeschichtliches?

Es ist auf jeden Fall ein Phänomen, das sehr viel über unsere Gesellschaft verrät. Für mich ist interessant, und das beschäftigt mich eben auch in dem Buch: Wie sieht diese Art von Kunst aus? Das sind eben solche Dinge, wie ich sie gerade genannt habe.

Da schlägt sozusagen der Marktwert in den Kunstwert um?

Ja, auf jeden Fall. Es wirkt zurück auf das, was an Kunst produziert wird. Ein anderes Merkmal für dieses Segment der Kunst ist, dass die in der Moderne hoch und heilige Trennung zwischen freier Kunst und angewandter Kunst nicht mehr gültig ist. Von fast allen erfolgreichen Künstlern können sie auch Beispiele finden, dass die plötzlich Lampen oder Möbel oder irgendwas anderes machen.

Das hat damit zu tun, dass der Zielort dieser Kunst nicht mehr das Museum ist, sondern die schicke Villa des reichen Sammlers, dass es Teil eines Lifestyles ist. Und da ist dann kein großer Unterschied mehr zwischen einem Möbelstück und einem Gemälde und einer Skulptur.

Also der Wert der Kunst bemisst sich, das ist ja eine Ihrer Thesen, nicht mehr an der Rezeption, sondern an dem Besitz.

Genau. Wir hatten, wenn man so will, in der Moderne die historische Ausnahme, dass man versucht hat Bildende Kunst vom Besitz zu emanzipieren. Dazu gab es so eine große Institution wie das Museum, wo man das erste Mal in der Geschichte der Kunst, eben Werke anschauen konnte, ohne dass man sie besessen hat.

Und jetzt haben wir eigentlich wieder so eine rückläufige Bewegung, nämlich dass wieder zusehends eigentlich Kunst mit Besitz verkoppelt ist, dass sie entsprechend nach anderen Kategorien wahrgenommen, bewertet wird, dass aber vielleicht auch neue Formen von Explosivität wieder entstehen, und es nicht mehr selbstverständlich ist, dass jeder alles jederzeit auch rezipieren kann.

Bedeutet das eine Rückkehr zur Vormoderne? Das deuten Sie ein bisschen an im Buch, aber nehmen es dann auch wiederum zurück und sagen: ja, eigentlich doch nicht oder eigentlich doch. Ja, was nun?

Was nun? Genau. Es ist insofern eine Rückkehr zur Vormoderne, als wir viele Verhältnisse wieder haben, die uns aus der höfischen Zeit sehr bekannt sind. Es gibt viel Auftragskunst, die Künstler verstehen sich selber auch wieder als Unternehmer, die ihrerseits die großen Werke und Aufträge dann delegieren und herstellen lassen von Fachleuten.

Also arbeitsteilige Produktion.

Arbeitsteilige Kunstproduktion. Und so auch der Künstler, der jetzt wieder selber im Zentrum der Macht steht und nicht mehr dieser Außenseiter oder arme Poet ist, wie wir ihn in der Moderne als Leitbild hatten.

Aber ein Unterschied besteht darin, dass diese heutige Siegerkunst eben noch extrem stark profitiert von dem Image, was die Kunst in der Moderne, schon in der Romantik, erst recht in den Avantgarden sich zugelegt hat, nämlich wo man eben mit Kunst sowas wie Reinigung, Erlösung, Therapie, Läuterung, Gesellschaftsveränderung, Verbesserung assoziiert und wo der Künstler eine extrem positiv besetzte Ausnahmefigur war.

Von diesem Nimbus profitiert die heutige Siegerkunst, was man daran sehen kann, dass oft mit formalen Versatzstücken der Moderne gearbeitet wird und all das, was mal die Heroen der klassischen Moderne der Abstraktion oder was auch immer gemacht haben, kehrt jetzt wieder wie ein Nachbild der Moderne.

Auch die Ideale der Moderne lassen sich vermarkten.

Ja, genau, lassen sich sehr gut vermarkten. Und insofern profitiert diese heutige Generation von Siegerkünstlern extrem davon.

Ich halte es aber auch für ein Übergansphänomen. Irgendwann ist diese Substanz, die in der Moderne geschaffen wurde, auch verbraucht. Was dann übrig bleibt, ist einfach nur noch Luxus und jegliche Differenz zwischen dem Kunstwerk und dem Möbelstück ist eigentlich verschwunden.

Ja. Eine Facette der Siegerkunst haben wir jetzt noch nicht besprochen, und zwar die, deren Opfer Sie selber geworden sind, weil die Künstler heute auch sehr stark versuchen auf die Rezeption, beziehungsweise den Besitz Einfluss zu nehmen und auch die Wirkungsgeschichte selber zu beeinflussen.

Viele Stellen im Buch, an denen Bilder sein sollten, sind grau geblieben, weil Sie die Urheberrechte nicht bekamen von den Künstlern, denen das nicht gepasst hat. Hat sich die Siegerkunst soweit durchgesetzt, dass sie nun versucht, auch den kunsthistorischen und kunstkritischen Diskurs zu dominieren?

Ja, auf jeden Fall. Und ich kann es auch, erst mal aus der Sicht der Künstler nachvollziehen. Sie wissen wie wichtig ihr Marktwert ist, sie wissen wie wichtig es ist, welches Image sie haben, und sie haben eben heute auch oft die Möglichkeiten, durch gute Logistik, aber auch durch ihre ökonomische Macht, ziemlich stark zu kontrollieren, über die Rezeption ihrer Kunst zu entscheiden. Wer schreibt wo, welche Ausstellung wird von wem gemacht.

Das wird ziemlich stark von den erfolgreichen Künstlern beeinflusst und entsprechend sind sie auch gewohnt darüber zu entscheiden, wo überhaupt ein Werk von ihnen reproduziert wird. Sie können mit so einem freien Autor, der jetzt mit seiner eigenen Sicht auf die Dinge losgeht, erst mal nicht so viel anfangen und sind davon irritiert.

Ja, sie wollen auch den Text haben.

Sie wollen in der Regel heute den Text haben. Ich habe so einen kleinen Aufruf gestartet unter Fachkollegen, und bekam inzwischen um die 50 sehr interessante Rückmeldungen, alles Fallberichte, ähnliche Fälle, zum Teil viel dramatischere Fälle als jetzt in meinem Buch. Woran man sieht: Da ist eine neue Konvention entstanden. Die Künstler sollen auch die ganze "Post-Produktion" ihrer Arbeit beeinflussen.

Und sie wissen, das ist auch ein stückweit ihre Professionalität, dass es nicht damit getan ist, irgendwann die Signatur unter ein Bild zu setzen, sondern dass man das Werk noch weiter begleiten muss, wenn es seinen Weg durch die Medien, durch die Rezeption antritt, um möglichst genau zu beeinflussen, wo und in welchem Zusammenhang es auftaucht.

Gab's diese Spaltung in die Siegerkunst, die erfolgreiche Kunst, die Kunst der Mächtigen, der Adligen und auf der anderen Seite die brotlose Kunst nicht immer?

Nicht in dieser Deutlichkeit. Es gibt natürlich eine grundsätzliche Affinität der Bildenden Kunst zu den Milieus der Reichen. Und deshalb halte ich das in gewisser Weise auch für eine große historische Ausnahme, was wir in der Moderne hatten.

Aber ich denke schon, dass diese Ausnahme in der Moderne auch darin bestand, dass die Künstler im Zweifelsfalle lieber für etwas weniger Geld was gemacht haben, mit der Perspektive: Es wird mal im Museum hängen, es wird kanonisiert sein, es wird Teil einer kulturellen Identität sein, als jetzt zu einem viel höheren Preis die Privatgemächer eines Milliardärs zu gestalten.

Sehr spannend, ein Buch, das sehr viel über unsere Gesellschaft aussagt und uns zeigt, was die Kunst über die gesellschaftlichen Entwicklungen aussagen kann.

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Wolfram Wessels