Buchkritik

Blake Bailey – Philip Roth. Biografie

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AUTOR/IN
Eberhard Falcke

Aus Erfahrungen beim Militär machte er seinen ersten Erzählband, die Beziehung zur fürsorglichen jüdischen Mutter inspirierte seinen ersten Roman, seine katastrophale erste Ehe lieferte ihm Stoff für mehrere Romane. Philip Roth nannte sich zu Recht "einen Schriftsteller seiner selbst". Blake Bailey liefert in seiner Roth-Biografie die Fakten zu den Fiktionen.

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Selten steht eine Biografie inhaltlich und thematisch in so unmittelbarer Konkurrenz zum Werk eines Schriftstellers wie im Fall von Philip Roth. Wer sein Werk kennt, weiß auch viel über das Leben des Autors. Trotzdem ist es keineswegs langweilig oder überflüssig, sich in Blake Baileys Philip-Roth-Biografie zu vertiefen, schon allein deshalb, weil darin die Spannung zwischen Lebenstatsachen und literarischen Fiktionen immer wieder zur Sprache kommt. So äußerte Roth etwa 1973, nachdem er in dem Roman "Mein Leben als Mann" die chaotische Beziehung zu seiner ersten Frau behandelt hatte, große Erleichterung, dass es ihm gelungen war, die - Zitat - „Scheiße dieser Ehe in ein Buch“ zu verwandeln.

Roths Großeltern waren, wie viele jüdische Immigranten, aus den Schtetl Osteuropas in die USA eingewandert. Die Familien arbeiteten hart am Aufstieg und oft schafften schon die Enkel den Sprung auf die Universitäten. Für den jungen Literaturstudenten Philip war diese amerikanische Assimilation verbunden mit der Befreiung von der Religion und alten Rollenbildern.

Wie Thomas Wolfe und Sherwood Anderson, die literarischen Idole seiner Jugend, sehnte Roth sich danach, seiner Heimatstadt zu entkommen, "der Langeweile, der Selbstgerechtigkeit, der Frömmelei, der immer gleichbleibenden engstirnigen Typen".

Bei dem angehenden Schriftsteller äußerte sich diese Emanzipation in einer entfesselten Lust an Satire, Witz und kabarettistischen Kapriolen. Für viele namhafte Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft wurde er damit zum Ärgernis. Besonders die zügellose Sexsucht des jugendlichen Helden in seinem Skandal-Erfolg "Portnoys Beschwerden" trug ihm 1970 den Vorwurf ein, er habe damit das Judentum an die Antisemiten verraten. Roth sah es anders. Er wollte seine Figuren ohne Rücksicht auf die jüdischen Traumata des Holocaust darstellen. Er wollte, noch radikaler als sein älterer jüdischer Freund Saul Bellow, ein amerikanischer Schriftsteller sein, ohne Rücksichten auf seine Herkunft. 

Eine Aussage aus seiner Militärzeit, zeigt schon früh einen Lebenshunger, der später dann auch allenthalben in der eminent dynamischen Dringlichkeit seines Erzählstils zum Ausdruck kam.

Ich weiß nur eins: Das Leben ist unerhört kurz, und Freiheit ist unerhört kostbar, und wenn ich hier rauskomme, werde ich leben bis zum Anschlag. Ich werde gehen, wohin ich will, und tun, was ich will, und ich werde SEIN, ausgiebig SEIN.

Zum Sein genauso wie zur Literatur gehörte für Roth immer der Sex. Philosophie, Glaube oder Transzendenz irgendeiner Art spielten für ihn keine Rolle. Zwischenmenschlichkeit bedeutete ihm alles. Einer seiner Freunde sagte: "Er braucht jemanden der ihn liebt. Denn er lebt in einer leeren Welt." Roth hatte also gute Gründe, seinem Biografen einzuschärfen, er dürfe seine Lebensgeschichte keinesfalls auf die "Geschichte seines Penis" reduzieren. Das hat Bailey nicht getan. Trotzdem bleibt kaum eine Frau unerwähnt, mit der Roth jemals zusammen war, sei es für Lebensabschnitte oder One-Night-Stands. Eine erstaunliche Anzahl! Am nötigen erotischen Charisma fehlte es ihm offenbar nicht. Seine beiden Ehen allerdings waren für alle Beteiligten eine Qual.

Roth war früh berühmt und umstritten, die großen Erfolge aber kamen relativ spät. Am Anfang war es der jüdische Rebell, der bei vielen Anstoß erregte, danach verursachte er als "Schriftsteller seiner selbst" manchen Überdruss durch seine Egomanie.

Bailey verzichtet weitgehend auf literarische Deutungen, psychologische Einordnungen, allgemeine Charakterisierungen und damit auch auf thematische Schwerpunkte. Stattdessen fädelt er seinen riesigen Materialbestand auf dem Zeitpfeil der Chronologie auf. Das ist nicht die ganz große Kunst der Biografik. Trotzdem ermöglicht dieses sehr lebendige Tausend-Seiten-Porträt eine Fülle von Einsichten.

Roth war ein Extremist der Selbstdarstellung, ein großer Don Juan aber auch ein harter, fleißiger Arbeiter. Seinen Alltag beschrieb er so:

Ich will nicht im Restaurant herumsitzen. Ich will zu Abend essen, etwas trinken, lesen, zu Bett gehen, vögeln und schlafen. Was sonst? Am nächsten Morgen stehe ich auf, setze mich an den Schreibtisch und arbeite – ein Tag ist mehr oder weniger wie der andere.

Bailey bietet weder ganz neue Erkenntnisse noch völlig unerwartete Enthüllungen. Aber er hat entscheidende Voraussetzungen geschaffen für alle weiteren Auseinandersetzungen mit diesem amerikanischen Literaturstar des Zwanzigsten Jahrhunderts. "Sie sollen mich nicht reinwaschen. Machen Sie mich einfach interessant", hat sich Philip Roth von seinem Biografen gewünscht. Das ist Blake Bailey absolut gelungen.

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Eberhard Falcke