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Oswald Egger: Triumph der Farben

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Zunächst einmal sehen wir nur Farbquadrate. Grafisch geordnet, sauber nebeneinandergestellt. Und dann, wenn man länger hinschaut, beginnen die Farben zu tanzen, zu verschwimmen, sich neu zu choreografieren. Das ist der Trick an der Sache: Irgendwann sieht man etwas, irgendwann löst sich aus dieser scheinbar abstrakten Versuchsanordnung ein Bild und beginnt, im Kopf zu wirken. Das Gehirn erzeugt sich aus dem Farbenspiel seine eigenen konkreten Bilder, die möglicherweise auch dann noch Bestand haben, wenn man die Augen schließt. Denn auch mit geschlossenen Augen ist die Welt nicht schwarz.

So betrachtet auch Oswald Egger die Welt: umherschweifend, erratisch. Seine Reflexionen vermessen genau jenes Grenzgebiet zwischen konkreter und beschreibbarer Wissenschaft und dem poetischen Augenblick, in dem der Blick beginnt, ein Eigenleben zu führen. „Sehe ich den Sinn“, fragt Egger einmal. Haben drei blaue Punkte einen Sinn? Oder nur dann, wenn derjenige, der sie sieht, auch etwas mit ihnen anfängt? Zum Beispiel, indem er drei Stiefmütterchen aus den Punkten herausliest, herausdeutet. Geometrie wird zu Poesie.

„Triumph der Farben“ ist nicht nur ein ungemein kluges, sondern darüber hinaus ein über die Maßen schönes Buch, das in der Schriftenreihe der Kunststiftung NRW erschienen ist. Es widmet sich, wie der 1963 geborene Südtiroler Egger schreibt, „den Abblätterungen von der wirklichen Welt“. Wer aber sagt, dass diese Abblätterungen nicht mindestens ebenso wirklich sind?

Zum Autor:

Oswald Egger, geboren 1963 in Lana, Italien, lebt auf der Raketenstation Hombroich. Seit 2011 ist er Professor für Sprache und Gestalt an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Für sein Werk erhielt er zahlreiche bedeutende Auszeichnungen, u. a. den Peter-Huchel-Preis 2007, den H.C. Artmann-Preis 2008, den Oskar-Pastior-Preis 2010 sowie 2010 und 2013 den Karl-Sczuka-Preis. 2012 war er Thomas-Kling-Poetikdozent in Bonn, 2014 Stipendiat der Villa Massimo.

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SWR