Emmanuel Carrère: V13. Die Terroranschläge in Paris

Stand

Emmanuel Carrère ist ein Schriftsteller, der die Reizpunkte der Zeit aufspüren und produktiv verwerten kann. Sein vorheriges Buch „Yoga“ war Skandalbuch und Bestseller zugleich. Carrères Ex-Frau intervenierte vehement gegen „Yoga“ und warf dem Autor vor, hier Fiktionalität nur zu behaupten, um eine Chance auf den Prix Goncourt zu haben.

Carrères neues Buch stellt diese Behauptung erst gar nicht auf. Die Gattungsbezeichnung „Gerichtsreportage“ steht bereits auf dem Umschlag. Am Freitag, den 13. November 2015 (vendredi 13, kurz: V13) sprengten sich in der Konzerthalle Bataclan, vor mehreren Cafés in Paris und in der Nähe des Stade de France sieben IS-Kämpfer selbst in die Luft, rissen dabei 131 weitere Menschen in den Tod und sorgten für zusätzlich knapp 700 Verletzte.

Der Prozess, der diesen Kollektivschock aufarbeiten sollte, fand von September 2021 bis Juni 2022 statt. Zu Wort kamen in einem eigens dafür gebauten Gerichtsgebäude Opfer und Mittäter, Familienangehörige und Zeugen. Carrère hat jeden einzelnen der Prozesstage verfolgt und für das Nachrichtenmagazin „L’Obs“ eine wöchentliche Kolumne verfasst, die die Grundlage für sein Buch bilden.

Das Ergebnis ist ein sehr persönlicher Text; ein Hybrid aus Reportage, Essay und Selbsterkundung. Denn spurlos geht all das an Carrère nicht vorbei. Die Aussagen verfolgen ihn bis in seine Träume. Und trotzdem gelingt ihm zweierlei: Wenn es darauf ankommt, wahrt er die Distanz und findet auf diese Weise einen jeweils der Situation angemessenen Tonfall. Und: Bei all der perversen Logik des Fanatismus, die ihm vorgeführt wird, findet Carrère Lichtblicke, Hoffnungsschimmer und solidarisches Verhalten in einem tief erschütterten Land.

Buchkritik Emmanuel Carrère – V13. Die Terroranschläge in Paris

131 Tote, das ist die Bilanz der Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris, als islamistische Terroristen ein Blutbad vor dem Stade de France, auf den Terrassen der Cafés in der Hauptstadt und im Konzertsaal Bataclan anrichteten. Eine Nacht voller Grauen, die sechs Jahre später in dem bisher größten Terror-Prozess der französischen Geschichte aufgearbeitet wurden. 14 Angeklagte, 1800 Nebenklägerinnen und Nebenkläger, 350 Anwälte und unzählige Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt verfolgten die Gerichtsverhandlung, die mehr als 9 Monate dauerte. Einer von Ihnen: der französische Schriftsteller Emmanuel Carrère. Er hat für die Zeitschrift L’Obs aus dem Prozess berichtet und aus seinen Berichten ein Buch verfasst. „V13“ der Titel - so wurde auch der Mammut-Prozess genannt. Die Abkürzung steht für Vendredi 13 – Freitag der 13. Carrères Schreibstil wird in Frankreich oft als Enquete bezeichnet, eine Art Ermittlung. In seiner Gerichtsreportage widmet er den Überlebenden und Hinterbliebenen den größten und stärksten Teil seines Buches.
Rezension von Sabine Wachs.
Aus dem Französischen von Claudia Hamm
Matthes & Seitz Verlag, 275 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-7518-0942-9

SWR2 lesenswert Magazin SWR2

Paris

Podcast-Serie V13 – Die Terroranschläge in Paris

Das sonderbare Begehren des Schriftstellers Emmanuel Carrère dreht sich um den Pariser Bataclán-Prozess, der juristisch die islamistischen Terroranschläge aufarbeitet.

Literatur SWR Bestenliste Oktober

Die SWR Bestenliste empfiehlt seit über 40 Jahren verlässlich monatlich zehn lesenswerte Bücher, unabhängig von Bestsellerlisten. Nicht die Bücher, die am häufigsten verkauft werden, bestimmen die Liste, sondern eine Jury, bestehend aus 30 namhaften LiteraturkritikerInnen, wählt die Bücher aus, denen sie möglichst viele LeserInnen wünscht.

Stand
AUTOR/IN
SWR