Platz 2 (96 Punkte)

Peter Stamm: In einer dunkelblauen Stunde

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Der achte Roman des Schweizers erschien pünktlich zu seinem 60. Geburtstag am 18. Januar. Er erzählt die Geschichte des Schriftstellers Richard Wechsler, der von einem Filmteam begleitet wird, während er an einem Roman arbeitet. In Paris, wo Wechsler lebt, wird er beim Spaziergang am Ufer der Seine gefilmt.

Man reist in sein Heimatdorf in der Schweiz, spricht mit Jugendfreunden. Doch so recht will dabei nichts herauskommen, denn Wechsler verweigert sich dem albernen Tanz um seine Person zusehends, so dass Andrea, die Filmemacherin und Ich-Erzählerin von „In einer dunkelblauen Stunde“, auf Mutmaßungen, Zuschreibungen und ihre Fantasie angewiesen ist.

Der Film scheitert, doch die Handlung geht weiter, weil Andrea zu Wechslers Jugendliebe eine Beziehung aufbaut, die über das Professionelle hinausgeht. In einer Phase der Gegenwartsliteratur, in dem das autofiktionale Schreiben sich auf einem Höhepunkt (und damit möglicherweise auch am Beginn einer Krise) befindet, öffnet Peter Stamm sich und sein Werk so überraschend wie überzeugend für die existentiellen Fragen des Fiktionalen: Wer hat im Prozess des Erfindens Macht über wen? Ist die Erfindung zugleich eine Lüge und mithin ein moralisch verwerflicher Akt? Was weiß man tatsächlich über einen Künstler, wenn man glaubt, dessen Werk durchdrungen zu haben?

Schon in seinen voran gegangenen Romanen hat Stamm mit Spiegel- und Doppelgängermotiven gearbeitet; so virtuos und unterhaltsam wie in diesem allerdings noch nicht.

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SWR