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Jürgen Becker: Die Rückkehr der Gewohnheiten

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Im Juli feierte Jürgen Becker seinen 90. Geburtstag, und im Suhrkamp Verlag erschienen zu diesem Anlass zwei neue Bücher des Kölner Schriftstellers und Büchner-Preisträgers des Jahres 2014: zum einen ein mehr als 1000 Seiten umfassender Band mit Beckers gesammelten Gedichten aus den Jahren 1971 bis 2022, zum anderen ein neuer, schmaler Band, der gerade einmal 80 Seiten umfasst. Er heißt „Die Rückkehr der Gewohnheiten“ und trägt den Untertitel „Journalgedichte“.

Die Texte in diesem Buch, kleine Prosanotizen, Gedichte, flüchtige Eindrücke, sind im vergangenen Winter und jeweils aus dem Moment heraus entstanden: „Augenblicke“, so schreibt Becker, „entscheiden, wo es langgeht, wohin sich das Geschehen bewegt … Sätze aus einem Früher, das nicht aufgehört hat, im Hier und Heute mitzusprechen.“ Becker ruft Schreibimpulse und Motive aus früheren Texten auf, nimmt quasi eine Revision vor.

Mit dem feinen Rechen bearbeitet er sein Werk und seine Erinnerungen, um all das noch einzusammeln, was möglicherweise übersehen wurde, und scheint es noch so unbedeutend. Bruchstücke sammeln, Collagen anfertigen – das war schon immer Beckers Technik, die Resultat eines sprachkritischen Bewusstseins ist. Das bedingt folgerichtig eine Offenheit des Blicks und des Weltbildes: Das Individuum bleibt in seinen Wahrnehmungen freimütig und variabel; es sucht nach Analogien und Anschlüssen, blickt im permanenten Wechsel zurück und wieder nach vorne.

In einem Interview sagte Becker einmal, im Grunde habe er immer nur an einem einzigen langen Journal geschrieben. Der Abschluss seines neuen Buchs ist geradezu programmatisch dem Vergessen gewidmet: „vergessen, was man vergessen hat; geblieben,/was noch zu tun ist. Zeitlebens ist geblieben ein Rest, und du weißt nicht, wenn sie wegkehren das Zeug oder/wiederverwenden, was die Nachkommen sich dabei denken.“

Portrait Alltagsvermesser – Zum 90. Geburtstag des Autors Jürgen Becker

Er ist einer der großen Experimentierer der deutschen Sprache: Der Autor Jürgen Becker. Sein vielgestaltiges Werk umfasst Gedichte, Romane, Erzählungen und Hörspiele. 2014 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Pünktlich zu seinem 90. Geburtstag erscheint ein neuer Gedichtband.
Porträt von Christel Wester.

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