Platz 3 (46 Punkte)

Hervé Le Tellier: Die Anomalie

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Es stimmt: Alles, was rund um dieses Buch und mit diesem Roman geschehen ist, ist nicht normal. Hervé Le Tellier, Jahrgang 1957, ist Mitglied der Autorengruppe OuLiPo, die ihr Schreiben strengen Gesetzmäßigkeiten und spielerischen Regeln unterwirft. Für „Die Anomalie“ wurde Le Tellier im Jahr 2020 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, und mittlerweile hat das Buch in Frankreich eine Millionenauflage erreicht.

Der Roman, erschienen 2020, spielt ein Jahr später und erzählt die Geschichte einer vielfachen Verwirrung: Im März 2021 gerät eine Maschine der Air France auf dem Flug von Paris nach New York in ein Unwetter, landet aber schließlich, wenn auch beschädigt, an ihrem Zielort. Nur: Dort ist bereits Juni, also drei Monate später. Innerhalb von drei Monaten ist also das identische Flugzeug mit identischen Passagieren zweimal gelandet.

Ist das ein Loch in der Zeit? „Matrix“ reloaded? Science Fiction, Krimi oder Irrsinn? In jedem Fall ist das, was Le Tellier aus seiner an sich schon guten Idee macht, hochgradig unterhaltsam. Die Lebensgeschichten einiger der Passagiere werden in doppelter Ausführung und im klassischen „Was wäre, wenn“-Modus durchgespielt.

Daraus ergeben sich zwangsläufig philosophische Fragestellungen, aber auch praktische Komplikationen. Parallel dazu versuchen die aufgeschreckten amerikanischen Sicherheitsbehörden, dem Phänomen auf die Spur zu kommen.

Und dann ist da noch ein Schriftsteller an Bord, Victor Miesel. Der hatte sich eigentlich im März umgebracht; kurz nach seinem Tod veröffentlichte sein Verlag Miesels letztes Manuskript, das zum Bestseller wurde. Der Titel: „Die Anomalie“. So produktiv kommt die kalkulierte Verwirrung selten daher.

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SWR