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Annie Ernaux: Das Ereignis

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Annie Ernaux, geboren 1940, bezeichnet sich als eine „Ethnologin ihrer selbst“. Dass diese ethnologischen, zumeist im Umfang knapp gehaltenen Erkundungsgänge erstaunliche Einsichten in die Verfasstheit der französischen Gesellschaft produzieren, macht Ernaux zu einer jener gefeierten Schriftstellerinnen, die die Klassenfrage literarisch gestellt haben. Darüber hinaus ist Annie Ernaux schon früher als viele andere eine autofiktionale Autorin gewesen.

Das Ereignis, das ihrem im Original bereits im Jahr 2000 erschienenen Buch den Titel gibt, ist ein Augenblick des Schocks: Im Oktober 1963 bemerkt die zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alte Annie, dass sie schwanger ist. Sie, die es aus unterprivilegierten Verhältnissen heraus an die Universität geschafft hat, sieht sich plötzlich um ihre Zukunft gebracht. Doch die Abtreibung ist zu jener Zeit in Frankreich illegal; sie wandert von der Arztpraxis zu dubiosen Helferinnen und endet in der Notaufnahme. Nicht nur die Kontrolle über den eigenen Körper, sondern die über ihr ganzes Leben ist ihr entglitten. Sie spürt Schmerz und Angst, vor allem aber Scham.

Mit der Abtreibung ist sie gezeichnet, stigmatisiert. Die Versehrungen und Demütigungen, die mit dem Ereignis einhergehen, wirken bis heute nach. Auch vor diesem Hintergrund ist Annie Ernaux‘ schmales Buch ein erhellendes, weil aufklärerisches Werk.

Buchkritik Annie Ernaux - Eine Frau

Annie Ernaux schrieb kurz nach dem Tod der Mutter 1986 ein Buch der Erinnerung über ein schwieriges Verhältnis, geprägt vom Schmerz der Entfremdung. Ein berührendes Leseerlebnis.

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