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Thomas Hürlimann: Abendspaziergang mit dem Kater

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Der Kater hat im Werk des Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann bereits seit Jahrzehnten eine bedeutende Rolle gespielt. Sein wohl berühmtester Roman trägt das Tier sogar im Titel: „Der große Kater“, 1998 erschienen, war das Porträt eines fiktiven Schweizer Bundespräsidenten, in dem Hürlimann seinen eigenen Vater, der Schweizer Bundesrat war, fiktionalisiert dargestellt hatte. Nun also der „Abendspaziergang mit dem Kater“, in dem Hürlimann, Jahrgang 1950, Texte aus den vergangenen 40 Jahren in bilanzierender Absicht und nach unterschiedlichen Themen geordnet zusammengestellt hat.

In „Wege“ beschreibt Hürlimann seinen Werdegang zum Schriftsteller gegen Widerstände; unter der Kapitelüberschrift „Schweiz“ sind essayistische Annäherungen an sein Heimatland gesammelt, in denen die volle Ambivalenz Hürlimanns gegenüber diesem geheimnisvollen Land zum Ausdruck kommt. Besonders imposant sind jene Texte, in denen Hürlimann von persönlichen Erfahrungen und Schicksalsschlägen erzählt: Sein Bruder, der ihm liebste Mensch, wie er selbst es ausdrückt, starb im Alter von 20 Jahren an Knochenkrebs. Hürlimann selbst war im Jahr 2018 an Krebs erkrankt. Der Text „Lazarus“ ist einer seiner Krankenhauserfahrungen gewidmet, und allein schon der gewählte Titel macht deutlich, dass es ein Wunder ist, dass wir überhaupt noch ein neues Buch dieses Autors in der Hand halten dürfen.

Herkunft, Prägung, Familie – um diese zentralen Themen kreist Hürlimann beständig. Und um den Verfall, der mit dem Vergehen der Zeit einhergeht. Hürlimann ist ein im besten Sinne rückwärtsgewandter Autor. Er erschließt sich seine Geschichte und verwandelt sie in Literatur. Möge er das noch lange tun.

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SWR