Platz 10 (25 Punkte)

Ivan Vladislavić: Schlagabtausch

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Sommer 1971: In der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria wachsen zwei Brüder in einem gutbürgerlichen Vorort auf – und in einer Blase ethnischer Homogenität. Während der ältere der beiden, Branko, bereits voll in pubertär-amouröse Sehnsüchte verstrickt ist, geht Joe einem eher befremdlichen Hobby nach: Wie besessen sammelt der Zwölfjährige Berichte und Zeitungsschnipsel über die Kämpfe des Box-Champions Muhammad Ali. Das Fernsehen kam erst 1976 nach Südafrika.

Eine seltsame Konstruktion, möchte man meinen, die sich der 1957 in Pretoria geborene Ivan Vladislavić zurechtgelegt hat. Doch ziemlich schnell wird klar, dass sein Roman auf geschickte Weise die Erkenntnis in eine Geschichte umsetzt, dass in einem brutalen Apartheidsstaat auch eine vermeintlich ganz normale Kindheit nicht normal sein kann. Erzählt wird aus einer großen zeitlichen Distanz heraus, denn mehr als 35 Jahre später, nach dem Ende der Rassentrennung, versuchen die beiden Brüder gemeinsam ihre Jugend zu rekonstruieren und aufzuschreiben. Der Schriftsteller, der Joe später geworden ist, ist allerdings auch im reflexiven Abstand nicht in der Lage, seine Faszination für die schwarze Boxerikone zu analysieren. Die Motivationspartikel allerdings, die Joe sich zusammensucht, haben stets mit der perversen politischen Situation zu tun, in der er aufgewachsen ist.

Alles ist diffus, alles indirekt vermittelt, und doch wird zunehmend klar, dass dieser Roman um Begriffe wie Anpassung und Integration, Unterdrückung und Widerstand kreist und diese subtil in das Bewusstsein der Figuren bringt.

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AUTOR/IN
SWR