Kronauer war eine Menschenfreundin
Brigitte Kronauers Tod am 22. Juli 2019 war ein Schock. Die Büchnerpreisträgerin von 2005 hatte eine so treue Leser- und Fangemeinde wie kaum eine andere deutschsprachige Schriftstellerin.
Das dürfte unter anderem damit zu tun gehabt haben, dass die Mischung von Eigenschaften und Fähigkeiten, die Kronauer auszeichnete, einmalig gewesen sein dürfte: Sie war eine hochartifizielle Menschenfreundin. Sie war gebildet, belesen, feinsinnig und formvollendet; ihre Sprache war verästelt bis an die Grenzen der Redundanz.
Jeder Mensch ist literaturfähig
Und trotzdem beharrte sie darauf, dass kein Mensch zu nichtig und zu unbedeutend sein könnte, um nicht literaturfähig sein zu können. Eine Hochdichterin der kleinen Leute und subtilen Beobachtungen.
Dazu passt der Titel ihres letzten, umfangreichen Buchs: „Das Schöne, Schäbige, Schwankende“ trägt den Untertitel „Romangeschichten“, und im Grunde hat Brigitte Kronauer ohnehin stets die kleinen Formen gepflegt, auch wenn sie durch den erzählerischen Bogen des Romans zusammengehalten wurden.
Die Erzählerin ist eine Wiedergängerin der Autorin
Die einzelnen Geschichten werden durch Charlotte, die Erzählerin, zusammengehalten, deren Perspektive wechselt. Es ist durchaus erlaubt, in ihr eine Wiedergängerin der Autorin selbst zu erkennen, die nun endlich „glamouröse Handlungen“ entwerfen will, stattdessen aber in hinreißenden ornithologischen Beobachtungen landet. Immer sind darin Betrachtungen zu Kunst und Leben versteckt. Harmlos ist das nie. Aber stets von hoher Eleganz.