Platz 6 (43 Punkte)

Nico Bleutge: schlafbaum-variationen

Stand

Der Seidenbaum hat eine ganz besondere Eigenschaft: In der Nacht klappt er seine rosafarbenen Blüten ein, besonders in klimatischen Extremsituationen, weswegen er auch „Schlafbaum“ genannt wird. Doch dieses Gewächs ist nicht die einzige Spur, die in Nico Bleutges neuen Gedichtband hineinführt. Eine andere sind die Zugvögel, die sich in großen Formationen auf ihrem Weg in den Süden auf Bäume setzen, um dort auszuruhen.

Die Vögel spielen auch eine Rolle in einem der ersten Gedichte in Nico Bleutges neuem Band, das den Titel „nicht am kopf berührt“ trägt. Dort heißt es:

kommt fieber in schwärmen? jeder vogel trägt
einen lichtpunkt im schnabel. zehntausend elstern
zur brücke gefaßt. mit mücken gestrasst, ein spei-
chern dieser temperatur, zahllos, blühend weiß
in wiegender luft. was wiegt luft? wenn sie leer ist vom singen (gesang), vom summen
loser folgen, bis der schlaf einfällt.

Natur und assoziative Klangfolgen gehen in Bleutges Gedichten eine enge Verbindung ein. Diese Klanggebilde und die Erkenntnis, dass nicht nur jedes Wort, sondern jede einzelne Silbe eine Bedeutung hat, hat sich in Bleutge, wie er es erzählt hat, durch die Geburt seines Kindes noch verstärkt.

Die Entzifferung dessen, was nicht nur sprachlich, sondern auch lautlich formuliert wird, sei Beglückung und Verantwortung zugleich. Eine Verantwortung, die Bleutge in den „schlafbaum-variationen“ als einen poetischen Auftrag begreift.

Stand
AUTOR/IN
SWR