Buch der Woche

Benedict Wells - Hard Land

Stand
AUTOR/IN
Theresa Hübner

Sam, der Ich-Erzähler in Benedict Wells neuem Roman „Hard Land“, ist ein Außenseiter. Aber durch den Ferienjob in einem Kino bekommt er Anschluss an eine Clique - und lernt Kirstie kennen, den „Inbegriff von süßsalzigem Popcorn“. Doch dann stirbt Sams Mutter.

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Benedict Wells kann erste Sätze, das beweist er auch in „Hard Land“ wieder:

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

Und wumms: damit ist alles gesagt, was in dieser Geschichte passieren wird. Sie führt in die USA der 80er – nach Grady, einem heruntergekommenen, erzkonservativen Kaff in Missouri. Grady hat seine besten Zeiten hinter sich. Seit die Textilfabrik geschlossen wurde geht es bergab:

Die Missouri Textil, kurz M-Tex, hatte über hundert Jahre lang existiert. Fast jeder aus Grady hatte jemanden in der Familie, der dort gearbeitet hatte. (...) Die Fabrik hatte Grady über Generationen hinweg ernährt, nun hatte sie sich in eine Art schwarzes Loch verwandelt.

Der Außenseiter Sam sitzt allein am Tisch der Schulkantine

Und nun liegt ein endloser Sommer in diesem „schwarzen Loch“ vor Sam, dem Ich-Erzähler in „Hard Land“. Sam ist 15, fast 16, schmächtig, der erste Bartwuchs lässt auf sich warten - er fürchtet sich „vor jedem Mist“ und seit sein bester Freund Stevie weggezogen ist, sitzt er endgültig allein am Tisch der Schulkantine.

„Selten hockte sich ein anderer Außenseiter dazu, aber nie für lange. Und manchmal kam mir der Verdacht, mein ganzes Leben war wie dieser Tisch.“

Ferienjob im Kino - und Kristie, „der Inbegriff von süßsalzigem Popcorn“

Doch dann nimmt Sam einen Ferienjob im einzigen Kino von Grady an. Plötzlich wird sein trister Alltag spannend, denn im Kino trifft er auf eine Clique aus älteren Schülern: Cameron, „Hightower“ und Kirstie. Die Drei nehmen Sam unter ihre Fittiche, akzeptieren ihn so wie er ist.

Vor allem von Kirstie ist Sam fasziniert, für ihn ist sie „der Inbegriff von süßsalzigem Popcorn“ – mal flirtet sie mit dem noch ungeküssten Sam, mal weist sie ihn zurück. Mit Kirstie kommt Sam hinter die „49 Geheimnisse von Grady“ in den nicht zufällig genau 49 Kapiteln des Romans.

Es folgen: magische Teenagermomente mit Parties, Mutproben, lange Nächte am See, tiefe Gespräche und Geständnisse – und: echte, praktische Lebensweisheiten.

„Der Punkt ist: man haut nicht einfach von Partys ab oder geht, wenn es mal langweilig wird. Sondern man bleibt, denn die wahren Wunder passieren immer erst am Ende der Nacht oder am frühen Morgen. Das ist die wichtigste Lektion.“
„Ist notiert“, sagte ich.

Wie klar kann einem mit 15, 16 die Endgültigkeit des Todes sein?

Doch dann die Katastrophe. Sams Mutter stirbt an ihrem Krebsleiden. Keine Überraschung, eigentlich, dass sie nicht wieder gesund wird, war Sam viele Jahre klar gewesen, doch wie klar kann einem die Endgültigkeit des Todes sein – mit 15, 16?

Ich strich ihr über die Wange. „Mom“, flüsterte ich.
„Mom!“
Ich drehte mich um und sah zu Dad, wollte, dass er mir erklärte, was das alles hier bedeutete, wollte, dass er irgendeine Lösung hatte. Aber er starrte mich nur mit roten Augen an. Und ich blickte zu den Sanitätern, doch auch die sagten nichts und schauten weg. Und da begriff ich, dass es wirklich Mom war.
Nein, dachte ich. Nein, nein, nein!

„Hard Land“ ist ein echtes Meisterstück mit liebevoll entwickelten Charakteren

Coming of age, Geschichten über das Erwachsenwerden also, sind Benedict Wells‘ Spezialgebiet. Doch während frühere Entwicklungsromane wie „Fast genial“ oder „Spinner“ noch deutliche Schwächen hatten, ist „Hard Land“ ein echtes Meisterstück - und das liegt vor allem an den liebevoll entwickelten Charakteren.

Jede Figur wirkt lebendig, viele seltsam vertraut: der sportliche Hightower, die geheimnisvolle Kirstie, ja sogar der Schulschläger, gegen den Sam sich schließlich behauptet – sie alle kommen einem bekannt vor.

Soundtrack der 80er: Billy Idols „Dancing with myself“ schwingt durch das Buch

Wer die berühmten Coming of age Filme der 80er, wie „Stand by me“ oder „Ferris macht blau“ gesehen hat, versteht woher die Vertrautheit kommt. Denn „Hard Land“ ist auch eine Hommage an diese Klassiker des Teenagerfilms, passender Soundtrack inklusive, Billy Idols „Dancing with myself“ schwingt durch das Buch.

Dass Benedict Wells diese Filme verehrt ist völlig klar und so lässt er seine Protagonisten gegen Ende des Romans einen der wichtigsten Filme des Genres schauen: John Hughes „Breakfast Club“:

Tatsächlich wurde Saal 1 am Abend noch einmal halbvoll. Ich fand Breakfastclub einen würdigen Schlusspunkt. Hightower moserte zwar über die „vielen Klischees“ am Anfang und dass es am Schluss völlig unnötig und kitschig um Liebe gehe, doch Cameron zeigte ihm nur den Vogel: „Du willst einen Teenagerfilm ohne kitschiges Liebes-Happy-End? Bist du bescheuert?“

Intensive Dialoge und große Gefühle, aber kein Kitsch

Nein, auch „Hard Land“ driftet nicht ins Kitschige ab, obwohl sich Benedict Wells nicht vor intensiven Dialogen und großen Gefühlen scheut. Aber weil dieser Autor eben nicht nur erste Sätze kann, wird es in diesem Buch nie süßlich – höchstens angemessen „zartbitter“.

„Kind sein ist wie einen Ball hochwerfen, Erwachsenwerden ist, wenn er wieder herunterfällt“ – wieviel Wahrheit kann man in einen Satz packen?

Und auch wenn das Buch 80er pur ist, ist „Hard Land“ weit mehr als Nostalgie oder Eskapismus. Die Themen des Romans sind letztlich zeitlos: Mut, Angst, Verantwortung, Tod und Trauer – damit kann man auch jenseits der Teenagerzeit etwas anfangen.

Wen dieses Buch kalt lässt, der war nie jung

High and low, hell und dunkel, euphorisch-melancholisch -  Benedict Wells packt das ganze schöne Elend des Erwachsenwerdens zwischen zwei Buchdeckel, wen das kalt lässt, der war nie jung. 

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Theresa Hübner