SWR2 Buch der Woche vom 9.12.2018

Daniel Wisser: Königin der Berge

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AUTOR/IN
Claudia Kramatschek

Buchkritik von Claudia Kramatschek

Daniel Wisser erzählt in seinem Roman „Königin der Berge“ vom Sterben eines todkranken Mannes im Pflegeheim. Herr Turin leidet seit Jahren an Multipler Sklerose und ist an einen Rollstuhl gefesselt. Die Krankheit, die er nicht bezwingen kann, ist für ihn jene Königin der Berge.

Auf seiner letzten Reise begleitet man Herrn Turin wehmütig, man möchte ihn nicht gehen lassen, aber der Leidende kämpft um Sterbehilfe, die man ihm verwehrt. Als Leser bewundern wir den Mut der Figur und leiden mit, können aber angesichts der oft auch grotesken Situation ein Lächeln nicht verkneifen.

Die tückische Krankheit bestimmt das ganze Leben

Am 5. November wurde er mit dem Österreichischen Buchpreis geehrt. Am 22. November hat er den diesjährigen Johann-Beer-Literaturpreis entgegen genommen. Die Rede ist von Daniel Wisser, der 1971 in Klagenfurt zur Welt kam, in Wien lebt – und der nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller ist, sondern auch ein Musiker.

Als Schriftsteller wurde er bereits für seine beiden Romane „Ein weißer Elefant“ und „Löwen in der Einöde“ gelobt. Mit „Königin der Berge“ wagt er sich auf schwieriges Terrain: Der Roman handelt von einem unheilbaren Kranken und seinem Wunsch, zu sterben.

Multiple Sklerose ist eine tückische Krankheit: Bei vollem Bewusstsein schwächt sie den Körper. Der Verstand bleibt wach, alles andere verfällt. Auch Robert Turin – die männliche Hauptfigur in Daniel Wissers Roman „Königin der Berge“ – weiß davon ein Lied zu singen.

Jeden Sonntag: Besuch der Ehefrau

Tatsächlich hat die „Königin der Berge“, wie er die Krankheit nennt, von ihm – einem ehemaligen Manager – ganz und gar Besitz ergriffen. Zehn Jahre lebt er bereits in einem Heim, lange schon ist er an den Rollstuhl gefesselt. Inzwischen ist er 46 Jahre alt – die Krankheit selbst ist viel älter.

Irene: das ist seine Frau. Seit zehn Jahren kommt sie ihren Mann – wenn auch nur sonntags – regelmäßig besuchen. Lange schon ist Robert Turin deshalb davon überzeugt, dass sie – eine attraktive Erscheinung – einen anderen Mann an der Angel hat. Alle ihre Beteuerungen, dass dem so nicht sei, prallen an ihm, der seit 15 Jahren impotent ist, deshalb ab. Chronisches Kranksein – das bebildert der Roman insofern wie nebenbei – verändert jede Beziehung.

Eine Welt schrumpft auf die Größe eines Krankenzimmers

Der Roman selbst spielt – bis auf das letzte Kapitel – im Heim. Das erlaubt dem Autor, kammerspielartig zu beleuchten, was es bedeutet, wenn die Welt schrumpft auf die Größe eines Zimmers. Da sind wachsende Abhängigkeiten und neu zu vermessende Machtverhältnisse.

Verdrängte persönliche Altlasten kommen an das Tageslicht, neue menschliche Abgründe öffnen sich. Da sind die diversen Krankenschwestern, die ihren Patienten mal mit Verständnis, vor allem aber mit Bevormundung behandeln.

Auch der verantwortliche Arzt redet mit Herrn Turin eher von oben herab. Wirkliche Kommunikation zwischen beiden Seiten, so scheint es, gibt es keine. Daniel Wisser setzt eben diese Kluft – und das heißt die Kluft zwischen Außensicht und Innenwahrnehmung – gekonnt in Szene: Passagen aus dem Munde eines allwissenden Erzählers wechseln sich ab mit solchen aus der Ich-Perspektive.

Der sehnlichste Wunsch: Hilfe zum Freitod zu finden

Die Aphasie wiederum, die Turin streckenweise ereilt, übersetzt der Autor mittels durchgestrichener Buchstaben, Worte und Sätze. Gleiches gilt für all das, was noch heute als Tabu erachtet wird: Selbstmord zum Beispiel.

Tatsächlich nutzt Daniel Wisser – der in seinen Romanen stets virtuos mit Sprache und Form umgeht – nicht zuletzt Elemente des Sprechtheaters: Diverse Dialoge sind gestaltet wie Passagen aus einem Bühnendrehbuch.

Und apropos Freitodbegleitung: Das ist das eigentliche brisante Thema des Romans. In Österreich ist dieser Vorgang – wie in Deutschland – eindeutig verboten. Herr Turin aber möchte nichts sehnlicher als endlich und aus eigenen Stücken zu sterben.

Der Roman begleitet sein Ringen darum: wie er – trotz zitternder Hände, trotz kontinuierlicher körperlicher Verschlechterung – heimlich Kontakt aufnimmt mit Vereinen in der Schweiz. Wie er sich durchringt, seine Frau zu belügen, die ihm diesen letzten Wunsch nicht erfüllen kann und will. Wie er die neue Psychiaterin des Heims bezirzt, damit sie ihm hilft.

Kommunikation, von Misstrauen vergiftet

Momentweise findet man diesen Mann – der die Frauen nicht nur zu nehmen, sondern auch auszunehmen weiß – deshalb unerträglich. Und spürt in solchen Momenten die Zerrissenheit, die eine chronische Krankheit in allen auslöst, die mit ihr zu tun haben.

Robert Turin wiederum ist irgendwann überzeugt, dass sich alle gegen ihn verschworen haben. Jede gut gemeinte Anrede übersetzt er – sichtbar auch für uns als Leser – im eigenen Kopfkino in das negative Gegenbild.

All das ist schwere Kost für einen Roman. Daniel Wisser aber gelingt – bis in den Ton hinein – etwas Erstaunliches: eine Leichtigkeit, der selbst Humor nicht fremd ist. Denn Herr Turin hat einen Freund und Verbündeten: einen Kater aus Kindheitstagen.

Die Katze als Verbindung in das frühere Leben

Dukakis ist eigentlich schon lange tot. Im Heim aber wird er zu Turins wichtigstem Einflüsterer und Adressaten, mit dem Turin sich verschwört gegen alle, die ihn auf seine Krankheit reduzieren.

Turin spricht regelmäßig mit Dukakis. Man begreift: Für den todkranken Mann stellt dieses Wesen ein Bindeglied dar zu dem eigenen früheren gewitzten Selbst: einem Mann, der einst wirklich alles, auch die Frauen, fest im Griff hatte.

Man möchte das, allemal als Frau, nicht wirklich lesen. Aber es bringt einem nahe, dass am Ende des Lebens nur noch eines zählt: das Wenige zu tun, was einem selbst wichtig ist. Auf seiner letzten Reise begleitet man Herrn Turin deshalb fast wehmütig.

Als Leser schwankt man zwischen Ablehnung und Verwunderung

Man möchte ihn – wie seine Frau – zurück halten. Und bewundert ihn doch für den Mut, den es kostet, für sich selbst einzustehen.

Daniel Wisser wiederum hat einen Roman geschrieben, der formal mit allen Wassern gewaschen ist – sein eigentliches Anliegen aber nie aus dem Blick verliert: angesichts unheilbarer Krankheiten unaufgeregt und doch eindringlich eine Lanze zu brechen für ein Leben – und für ein Sterben in Würde.

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Claudia Kramatschek