SWR2 Buch der Woche vom 21.10.2018

Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump. Aus dem Englischen von Demian Niehaus

Stand
AUTOR/IN
Julia Schröder

Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump

Ohne das Internet und Social Media wäre der Aufstieg der Neuen Rechten in den USA und die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten nicht möglich gewesen. Die irisch-amerikanische Medienwissenschaftlerin Angela Nagle hat untersucht, wie und warum die Kommunikation im Netz seit der Jahrtausendwende zunehmend die Debatten im wirklichen Leben bestimmt.

Angela Nagles essayistische Analyse „Die digitale Gegenrevolution“ könnte – und sollte – auch deutsche Leser sehr ins Grübeln bringen.

Wie konnte ein reaktionärer, sexistischer Wirrkopf Präsident werden?

Angela Nagle sagt: Die Linke hatte auf den Siegeszug eines offen sexistischen, rassistischen Rechtspopulismus keine Antworten. Im Gegenteil, sie hat ihn noch befördert.

Wie konnte es nur so weit kommen? Wie konnte die größte Demokratie der Erde einen reaktionären, sexistischen Wirrkopf von kindischer Grausamkeit zum Präsidenten wählen und damit einer Kamarilla moralisch zweifelhafter Zwischenträger, bedenkenloser Karrieristen und apokalypseverliebter Influencer in den Dunstkreis der Macht verhelfen?

Warum hatte auf einen mit Verhetzung und Verächtlichmachung geführten Wahlkampf die politische Gegenseite ebenso wenig geeignete Antworten wie die Intelligenzija des Landes? Kürzer gefragt: Weshalb sitzt Donald Trump im Weißen Haus, und die US-amerikanische Linke liegt in Trümmern?

Kurze Antwort:

Das Internet ist schuld

In der Kürze liegt in diesem Fall weder die Würze noch die ganze Wahrheit. Trumps Prahlgetwitter war nicht der folgenlose Zeitvertreib eines halbseiden gealterten Medien-Hansdampfs ist, sondern Initial wie Folge entfesselten und sehr wirksamen Herumgetrolles auf diversen Netzplattformen. Das dürften nicht einmal ewig berufsjugendliche Kapuzenpulliträger bestreiten, die ehedem glaubten, das World Wide Web sei und bleibe ein Reich verspielter Herrschaftsfreiheit.

Was genau da passiert ist, hat die Medienwissenschaftlerin und Journalistin Angela Nagle in ihrem Essay „Kill all Normies“ untersucht. Das Buch wurde 2017 zum Bestseller und erscheint nun unter dem weniger martialischen Titel „Die digitale Gegenrevolution“ auf Deutsch. Der Untertitel lautet „Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump“.

Das klingt sperrig, sollte aber niemanden von der Lektüre abhalten, der sich für den explosionsartigen Bedeutungszuwachs des Internets in gesellschaftlichen Debatten interessiert. Hier bekommt auch die deutsche Leserin ein relativ übersichtliches Bild der Entwicklung und der Akteure, nicht zuletzt dank der bündigen Erklärungen in den Fußnoten der Autorin wie des verdienstvollen Übersetzers.

Aus der unernsten Meme-Kultur wird der Hallraum der Neuen Rechten

Wer bisher wenig vom unregulierten Diskussionsverhalten der anonymen Nutzer der Plattform 4chan mitbekommen hat, erfährt, wie in deren nerdigen und frauenfeindlichen Verzweigungen der Schritt von der pronociert unernsten, unendlich ironischen, durchweg insiderischen und geschmacklosen Meme-Kultur zum Hallraum der Neuen Rechten vollzogen wurde.

Am Beispiel des zu dandyhafter Grenzüberschreitung neigenden Trump-Propagandisten Milo Yiannopoulos zeigt Nagle, wie die Bewegung der Alt-Right ihre eigenen Stars als „Alt-Light“ im eigentlich verachteten Medien-Mainstream etablierte.

„Milo“ ist zugleich eine der Figuren, an denen „Die digitale Gegenrevolution“ den verhängnisvollen Weg der US-amerikanischen Linken nachzeichnet. Angela Nagle, selbst zu verorten in der undogmatischen Linken, sieht die Entstehung der unbeschwert sexistisch und rassistisch auftretenden Alt-Right auch als Reaktion auf den bis dahin unaufhaltsamen Siegeszug progressiver Kräfte nicht nur in der US-Gesellschaft seit den sechziger Jahren.

Unfähigkeit der „Linken“ zu einer gemeinsamen Position

Die Neue Rechte, so ihre Beobachtung, hat sich irgendwann ein ursprünglich linkes Erfolgsrezept zu eigen gemacht: Politik als Kulturkampf. Und prompt – von den „Campus-Kriegen“ um vermeintliche oder tatsächliche Diffamierung von Minderheiten, über die Shitstorms gegen angeblich transfeindliche und heteronormative Feministinnen wie Germaine Greer bis zur verhängnisvollen Spaltung der Demokratischen Partei und Wählerschaft in Hillary- und Bernie-Unterstützer – hat die Linke sich effektiv selbst zerlegt.

Als eine der fatalsten Entwicklungen in diesem Zusammenhang erscheint die überempfindliche, vor allem im Netzwerk Tumblr zelebrierte akademische Selbstermächtigung einer geistfeindlichen Schneeflöckchen-Kultur – die, nebenbei bemerkt, spätestens mit der Debatte um Eugen Gomringers „Avenidas“-Gedicht an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule auch hierzulande öffentlich sichtbar wurde.

Angela Nagle ist 1984 in Irland geboren und hat in Dublin ihren Doktor gemacht. Sie lebt seit langem in den USA. Dennoch scheint in ihrem Schreiben die Perspektive der Außenbeobachterin auf, was die bei allem Faktenreichtum unterhaltsame Lesbarkeit ihres Essays noch erhöht. Dieser Text gibt deutschen Lesern, und nicht nur linken, gerade in diesen Tagen aufgeregter Hashtag-Debatten einiges zu knabbern.

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Julia Schröder