Buch-Tipp

„Menschenwelt und Götterfunken“: Beethoven-Bilder in Buchform

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AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt

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Beethoven auf dem hohen Sockel? Oder doch besser als vereinsamtes Genie? Unsere Bilder vom Komponisten sind vielfältig und oft clichéhaft, wie ein Wiener Ausstellungskatalog beweist.

15 Aufsätze von renommierten Beethoven-Forscherinnen und -forschern

Aus unterschiedlichen Perspektiven versucht sich das neue Buch der Persönlichkeit Beethovens zu nähern. 15 Aufsätze von renommierten Beethoven-Forscherinnen und -forschern untersuchen die Beziehung zwischen dem berühmten Komponisten und seinem gesellschaftlichen Umfeld. Daraus soll dann ein möglichst umfassendes Bild des Menschen und des Heroen Beethoven zugleich entstehen, eines Komponisten im Spannungsfeld von Menschenwelt und Götterfunken.''

Beethovens Wiener Zeit

Nach einer Skizze über Beethovens Umfeld während seiner Bonner Zeit, wendet sich das neue Buch schnell der österreichischen Hauptstadt Wien zu.  So untersucht etwa der Aufsatz von Marc Strümper Beethovens Verhältnis zu seinen dortigen Lehrern. Es fallen die Namen Joseph Haydn, Johann Albrechtsberger und Antonio Salieri - drei Musikerpersönlichkeiten mit ganz verschiedenen ästhetischen und pädagogischen Vorstellungen. Etwas detaillierter untersucht Autorin Julia Ronge in ihrem Aufsatz die künstlerische wie menschlichen Beziehung Beethovens zu Joseph Haydn.

Der Unterricht Beethovens bei Haydn wird in der Literatur im Allgemeinen in keinem besonders günstigen Licht gezeichnet. Verantwortlich dafür ist u. a. das Zeugnis Johann Baptist Schenks, der in seiner Autobiographischen Skizze behauptete, Beethoven sei aus Unzufriedenheit mit Haydns Unterrichtsmethoden heimlich sein Schüler geworden.“

Davon ausgehend macht Julia Ronge deutlich, dass das Verhältnis der beiden Komponisten weitaus besser gewesen ist als allgemein angenommen. Nach der Perspektive Schüler-Lehrer dreht Autorin Andrea Harrand nun den Spieß um und beschäftigt sich mit Beethoven in der Rolle des Lehrers. Im Zentrum ihrer Ausführungen stehen schriftliche Zeugnisse von Carl Czerny, Ferdinand Ries und Erzherzog Rudolph. Letzterer gehört auch zur Kategorie Förderer und Mäzene Beethovens in Wien. Unter der Überschrift "Gaben und Gegengaben" setzt sich Birgit Lodes in ihrem Aufsatz mit dieser Personengruppe auseinander und kommt zu einem interessanten Schluss:

Wie die Beispiele der Ehepaare Lichnowsky und Kinsky deutlich machen, war das Mäzenatentum Beethoven gegenüber keineswegs reine Männersache. Die Musik bildete in den zwei näher beleuchteten Ehen einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt.“

Gleich zwei Aufsätze dieses Bandes stammen von Michael Ladenburger. In einem analysiert er das in zahlreichen Briefen dokumentierte Verhalten Beethovens gegenüber seinen Verlegern. Der Komponist erscheint darin als strategisch kluger und gewinnorientierter Vermarkter der eigenen Musik. "Vom Umgang mit Beethoven" handelt dagegen der zweite Aufsatz desselben Autors. Dieser stützt sich auf Berichte von verschiedenen Zeitzeugen und die erhaltenen Konversationshefte des Komponisten. Ladenburger kommt sogar zu einer Art Ranking bei der Beziehung von Personengruppen zu Beethoven.

Am schwersten hatten es im Umgang mit ihm in dieser Reihenfolge aufsteigend seine Verleger, sein Neffe und in seiner letzten Lebensdekade sein Hauspersonal. Sie erweckten Beethovens Misstrauen in besonderem Maße.“

Informationen zu Beethovens Problemen etwa mit seinen Haushälterinnen liefert die oft sehr amüsante Korrespondenz mit seinem Wiener Freund Nikolaus Zmeskall von Domanovecz. Stefan Engl hat in seinem Aufsatz diese auch nicht immer konfliktfreie Freundschaft näher unter die Lupe genommen und zeichnet das Bild eines treuen Freundes Beethoven, der gerne mal zu derben Scherzen aufgelegt war, aber auch den einen oder anderen Dienst von seinem adeligen Kumpanen einforderte.

Beethovens Verhältnis zu seinem Neffen

Eine trauriges Kapitel in Beethovens Biografie schlägt dagegen Herausgeber Thomas Leibnitz auf: In seinem Aufsatz mit dem treffenden Titel "Fürsorge, Zwang und Verzweiflung" behandelt er das Verhältnis des Komponisten zu seinem Neffen Karl. Wurde in der der älteren Literatur noch oft der Neffe als der Urheber der Spannungen ausgemacht, so erscheint diese Beziehung bei Leibnitz nun in etwas anderem Licht. Beethoven stellte hohe Anforderungen an seinen Schützling, kämpfte schließlich mit hohem Einsatz für dessen Sorgerecht. Aber:

Eines fehlt: Er nimmt seinen Neffen als Partner nicht ernst, nach Karlseigenen Wünschen und Sehnsüchten fragt er nicht. Es bedarf eines Selbstmordversuchs, ihn zur Akzeptanz des Berufswunsches seines Neffen zu bewegen.“

Karl wird Soldat - sehr zum Leidwesen Beethovens. Großen Raum im Buch nehmen auch die zahlreichen farbigen Abbildungen von Porträts, Schriftstücken, Drucken und weiteren Quellen aus dem Fundus der Österreichischen Nationalbibliothek ein. Dazu gibt es einen ausführlichen Katalog der aktuellen Beethoven-Ausstellung mit entsprechendem Quellennachweis.

Heterogenes Gesamtbild

Unter dem Strich lässt sich aus den 15 Aufsätzen dieses Buches ein erwartungsgemäß heterogenes Bild der Persönlichkeit Ludwig van Beethovens herauslesen. Manche Aspekte wie etwa sein Misstrauen gegenüber anderen oder seine Eigenbrötlerei werden bestätigt, auf der anderen Seite gab es aber auch den lebenslustigen und geselligen Beethoven. Über den und seine komplexe Persönlichkeit wird es auch im kommenden Jahr und darüber hinaus sicher noch viel zu sagen und zu schreiben geben. Das macht dieser sehr lesens- und auch sehenswerte Aufsatzband und Ausstellungskatalog eindrucksvoll deutlich.

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AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt