Buchkritik

Audre Lorde - Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens

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AUTOR/IN
Kristine Harthauer

„Zami“, das meint eine Freundschaft unter Frauen, die sich lieben und zusammenhalten. Genau von solchen Freundschaften erzählt auch Audre Lorde in ihrem Memoir: Sie erzählt ihren Weg vom Mädchen, das ohne ihre dicke Brille so gut wie nichts sieht und selten spricht, hin zu einer unabhängigen Schwarzen lesbischen Frau. Einen Weg, den sie alleine gehen musste, weil sie keine Vorbilder hatte. Daraus wird ein bewegendes und sinnliches Mosaik von Begegnungen mit Frauen, die sich in Lordes Entwicklung einprägen wie „seelische Tattoos“.

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Eine Heimat, ohne je dort gewesen zu sein

Zimt, Muskatnuss, Limetten, Vanilleschoten und Tonkabohnen - das sind die Düfte der westindischen Gewürzinsel Carriacou. Eine Insel, die Audre Lorde lange mit dem Wort „Heimat“ verbunden hat, ohne je dort gewesen zu sein. Die sie nur aus den Erzählungen ihrer Mutter kannte und in keinem Atlas finden konnte.

Die Frauen dort, so wurde es Audre erzählt, seien berühmt für ihre Kraft und Schönheit und für ihre Art, zusammenzuhalten, während ihre Ehemänner auf hoher See sind. „Zami“ heißt ihre Art der Freundschaft:

„Auf Carriacou ein Name für Frauen, die als Freundinnen und Liebende zusammenhalten.“
(Aus Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens)

„Zami“ hat Audre Lorde auch ihr 400-Seiten starkes Memoir überschrieben. Darin erzählt sie ihren Weg vom Mädchen, das ohne ihre dicke Brille so gut wie nichts sieht und selten spricht, hin zu einer unabhängigen Schwarzen lesbischen Frau.

Beziehungen und Freundschaften als schützendes Netzwerk

Es ist ein Weg, den Audre Lorde alleine gehen musste, weil sie keine Vorbilder hatte.

„Ich weiß noch, wie es war, jung und Schwarz und lesbisch und einsam zu sein. Vieles daran war okay, weil ich für mein Empfinden die Wahrheit und das Licht und den Schlüssel hatte, aber vieles daran war die reinste Hölle.“
(Aus Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens)

Paradiesisch war das Leben für Audre Lorde bei Weitem nicht: Rassismus und Repression der McCarthy-Zeit bestimmen die Jahre, in denen sie zur Frau heranwächst. Einen Ort, der Schutz und Unterstützung bietet, gibt es für sie nicht.

Sie muss sich diese Orte mühevoll aufbauen in Form von Freundschaften und in der Liebe zu anderen Frauen. Diese Beziehungen, mit „Zami“ überschrieben, bilden das Netzwerk, das Audre über Jahrzehnte gesponnen hat.

Sinnliche Sprache in einer feindseligen Welt

Beginnend bei ihrer Mutter, die sie zwar mit harter Hand erzieht, aber gleichzeitig vor der Welt da draußen schützen will: Vor den USA der 1940er Jahre und der Diskriminierung von Schwarzen.

Mit 17 Jahren zieht Audre aus, ist von da an auf sich allein gestellt. Sie erzählt von der aufreibenden Suche nach Arbeit, von Hunger, einsamen Weihnachtsfeiertagen und einer gefährlichen Abtreibung. Und von ihrer ersten Liebhaberin, Ginger:

„Flinke kleine dunkle Augen. Haut in der Farbe von Karamell mit viel Butter und ein Körper wie die Venus von Willendorf.“
(Aus Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens)

Sinnlich, bildlich und hingebungsvoll schreibt Audre Lorde über ihre sexuellen Begegnungen. Gerüche und Körper werden genauso detailreich beschrieben wie Essen und Kleidung.

Bei Audre Lorde ist das Privatleben politisch

Audre Lorde entdeckt und erschafft sich ihre warme Welt im grauen New York und macht sie uns durch die Sprache erfahrbar. Ihr großes Talent ist es, dass das nicht kitschig wird, sondern immer auch die Verhältnisse reflektiert. Denn als Schwarze Frau in den 50er Jahren lesbisch zu sein, war nicht nur eine individuelle Angelegenheit:

„In meinen Augen waren Lesben die einzigen Schwarzen und weißen Frauen, die während der Fünfziger Jahre in diesem Land überhaupt miteinander redeten, außerhalb von leerer patriotischer Rhetorik und politischen Bewegungen.“
(Aus Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens)

Das erkennt Audre während ihrer langen Beziehung zu Muriel, einer weißen Frau. Was die beiden am Küchentisch theoretisch diskutieren, leben sie auch: ihre Paarbeziehung, die auch für neue Begegnungen offen ist. In Lesbenbars und Cafés kann das Leben großzügig sein, gleichzeitig mischen sich hier die individuellen Sorgen und die der Community.

Schwarz, weiblich, lesbisch: Diskriminierung auf vielen Ebenen

Was Audre Lorde offen beschreibt, sind die Differenzen: Als Lesben gehören Muriel und Audre zwar beide zu einer Minderheit. Aber Audre hat als Schwarze Frau noch mal anders zu kämpfen:

„Die meisten Schwarzen Lesben verbargen ihr Lesbischsein, weil sie richtig erkannten, wie wenig sich die Schwarze Gemeinschaft für uns interessierte und wie viele andere unmittelbare Bedrohungen es für unser Überleben gab. Es war schwer genug Schwarz zu sein, Schwarz und Frau zu sein. In einer weißen Umgebung Schwarz, Frau und lesbisch zu sein und sich offen dazu zu bekennen, galt bei vielen Schwarzen Lesben schlicht als selbstmörderisch.“
(Aus Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens)

Audre Lorde hat sich dieser Gefahr gestellt und nicht unterkriegen lassen. Wie viel Kraft und Energie sie das gekostet hat, darüber schreibt die in „Zami“ eindrücklich und bewegend.

Biografie als ein Mosaik von Begegnungen

Ihr Memoir ist nicht nur ihr Porträt eines Mädchens, das sich zu einer Intellektuellen entwickelt. Es ist ein Mosaik von Begegnungen mit Frauen, die sich in Lordes Entwicklung einprägen wie „seelische Tattoos“, so nennt sie es.

„Seelische Tattoos“ – viele sind ihrem Leben eingeprägt, ebenso wie Audre Lorde mit ihren Gedichten und politischen Essays das Leben vieler Frauen geprägt hat, Schwarzer und weißer und weit über die USA hinaus.

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Kristine Harthauer