Termin Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2018 (Foto: SWR, SWR -)

Deutscher Buchpreis 2018

„Archipel“ von Inger-Maria Mahlke gewinnt den Deutschen Buchpreis 2018

Stand

„Archipel“ von Inger-Maria Mahlke hat den Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres 2018 gewonnen. Der Preis wurde am 8. Oktober im Frankfurter Römer verliehen.

In ihrer kurzen Dankesrede platzierte Inger-Maria Mahlke eine Solidaritätsadresse an die vor kurzem entlassene Rowohlt-Verlegerin Barbara Laugwitz, deren Nachfolger ab kommenden Jahr Florian Illies wird. Mahlke sagte, Laugwitz sei sich immer bewusst gewesen, „dass ein Autorenleben und künstlerische Produktion fragile Prozesse sind“.

Der Wechsel an der Spitze des Rowohlt-Verlags hatte in den vergangenen Wochen für erheblichen Wirbel in der Branche gesorgt. Zahlreiche prominente Autoren - auch Mahlke - hatten gegen die Entlassung von Laugwitz protestiert.

Aus der Begründung der Jury

Im Zentrum von Mahlkes Roman „Archipel“ stehen drei Familien aus unterschiedlichen sozialen Klassen, in denen die Geschichte Spaniens Brüche und Wunden hinterlässt. Vor allem aber sind es die schillernden Details, die diesen Roman zu einem eindrücklichen Ereignis machen. Das Alltagsleben, eine beschädigte Landschaft, aber auch das Licht werden in der Sprache sinnlich erfahrbar. Faszinierend ist der Blick der Autorin für die feinen Verästelungen in familiären und sozialen Beziehungen.

Gespräch mit Inger-Maria Mahlke bei der SWR2-Veranstaltung Literatur im Römer

Kommentar von SWR2 Literaturkritiker Carsten Otte

Dieses Buch will und ist ganz viel. Inger-Maria Mahlkes Roman „Archipel“ ist ein Sittengemälde vom äußersten Rand Europas, nämlich von der Kanareninsel Teneriffa, es handelt sich aber auch um einen Familienroman, der über mehrere Generationen hinweg vom Aufstieg, Fall und vom Verharren der Figuren in ihren sozialen Milieus erzählt. Es ist ein Text, der von politischen Brüchen in der Geschichte Spaniens, also von Faschismus und den Nachwehen des Kolonialismus berichtet, ganz nebenbei auch von der Entwicklung des Massentourismus und den Versuchen, eine nachhaltige Urlaubswirtschaft zu etablieren.

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Es geht um die Mühen der Altenpflege und die Sinnsuche einer jungen Generation, die zunächst von den Kanaren flieht und dann wieder zurückkehrt. Man könnte sagen: Für alle ist etwas dabei. Tatsächlich hat es kaum überrascht, dass Inger-Maria Mahlke den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, zumal ihr Roman sowohl inhaltlich als auch formal allerlei Risiken eingeht. So drängt sich ein wenig der Verdacht auf, dass die Jury vor allem den literarischen Mut bewertet und über Schwächen des Romans hinweggesehen hat.

Der Roman heißt nicht nur „Archipel“, der Text ist auch in ästhetischer Hinsicht eine Art Inselgruppe mit sehr unterschiedlichen Eilanden, die unterirdisch miteinander verbunden sind und die Erzählerin Mahlke sowohl in literarischer Lupenansicht als auch aus einer Art Helikopter-Perspektive untersucht. Als wäre dies nicht schon literarische Herausforderung genug, beeindruckt der Text mit dem Versuch, Geschichte und Lebensgeschichten gegen die bedingungslose Macht der Zeit zu erzählen.

Gewagte Romankonstruktion mit Erzählproblemen

Die Verwicklungen und Verstrickungen der Bautes, Bernadottes und all der anderen Familien, die diesen Roman bevölkern, werden nämlich von Kapitel zu Kapitel rückwärts durch die Epochen vorgetragen. Der Text beginnt 2015, am Ende sind wir im Jahre 1919 angelangt. In „Archipel“ werden die Figuren also im Laufe der Lektüre immer jünger.

Tatsächlich ergeben sich aus der gewagten Romankonstruktion auch Erzählprobleme, die Mahlke nicht immer stilvoll lösen kann: Der Text muss aufgrund der Struktur an manchen Stellen schon Bekanntes wiederholen, beim rückwärtschronologischen Ritt durch die Epochen viele historische und lokalkulturelle Zusammenhänge erklären, was bei der ohnehin sperrigen Anlage nicht wirklich zum Lesefluss beiträgt.

Absage an die klassische Figurenentwicklung

Mahlkes Roman ist als Angriff auf historistische Wohlfühlprosa zu verstehen, als Absage an eine klassische, auf psychische Muster basierende Figurenentwicklung und als Kritik am literarischen Manufactum-Gefühl, das sich suhlt in der Bestätigung, dass es sie noch gibt, die guten Dinge. So zeigt sie ihr schriftstellerisches Können, wenn sie den Alltag der Leute bildstark schildert. Ob wir im Altenheim beim neunzigjährigen Julio zu Besuch sind oder ein paar Jahrzehnte später die immerwährende Arbeitsroutine einer Haushaltshilfe erleben, hier wie dort werden die einfachen Worte zu großer Kunst.

Ist „Archipel“ der Roman des Jahres? Nein!

Ist „Archipel“ aber nun der Roman des Jahres? Nein. Mahlkes Text inspiriert, überzeugt aber nicht durchweg. Und das ist schade, denn der Deutsche Buchpreis ist immer auch eine Werbung für die Literatur an und für sich.

Short- und Longlist mit erstaunlichen Fehlgriffen

Wenn man noch einmal auf die Auswahl der diesjährigen Short- und Longlist zurückblickt, fällt ohnehin auf, dass es erstaunliche Fehlgriffe gegeben hat. Hochgelobte Romane wurden aus unerfindlichen Gründen nicht mal in der ersten Auswahl berücksichtigt, wie etwa Michael Köhlmeiers „Bruder und Schwester Lenobel“. Auch auf der Shortlist gab es stilistisch fragwürdige Werke, die sich seltsamerweise gegen den amüsant-eleganten Longlist-Titel „Hysteria“ von Eckart Nickel durchgesetzt haben. Vielleicht war die Jury über die eigenen Entscheidungen so erschrocken, dass am Ende dann doch eine Konsenskandidatin gewinnen musste.

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2018:

SWR2 Literaturchef Frank Hertweck stellt die Gewinner des Deutschen Buchpreises seit 2005 vor.

Die Jury für den Deutschen Buchpreis 2018

Die Buchpreisblogger 2018

Sechs Literaturbloggerinnen und -blogger diskutieren als "Die Buchpreisblogger" die 20 Titel der Longlist. Die Beiträge erscheinen wie bereits letztes Jahr auf dem Blog des Deutschen Buchpreises.

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