Buchkritik

Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis

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AUTOR/IN
Julia Schröder

Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger hat viele Jahre lang ein Doppelleben geführt: Neben seiner Arbeit als Romanautor ist er regelmäßig in die Altpapiercontainer von Wien gestiegen. Was er dort fand, hat sein Schreiben auf ungeahnte Weise geprägt. Davon erzählt sein neues Buch.

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Ein Zufallsfund. Fünf Bananenkartons vor einem Wiener Papiercontainer. Der Inhalt: Bücher. Der Student Mitte zwanzig aus Vorarlberg, mit wenig Geld und weit geöffneten Augen unterwegs in der großen Stadt, sieht die Kartons, gönnt sich ein Taxi und schleppt sie in die winzige Bude, die er behaust.

So fing es an, schreibt Arno Geiger:

„So kam es, dass ich vom guten Weg abwich und aufs Geratewohl losmarschierte auf ein Terrain, das gekennzeichnet ist von Schmutz und fehlender Schicklichkeit. Ich geriet in etwas hinein, das sich zunächst als Irrsinn erwies und später als eine gute Sache.“

Schmutz, fehlende Schicklichkeit und Außenseitertum – solche Wörterspuren sind aus dem derzeit so beliebten autofiktionalen Erzählen vom eigenen Herkommen bekannt. Arno Geigers jüngeres Ich hat kein Ziel im Leben außer dem, Schriftsteller zu werden, hat kein Einkommen außer als Beleuchter bei den Bregenzer Festspielen, zwei wieder und wieder durchgearbeitete Romane in der Schublade und keinen Verlag. Aber „Das glückliche Geheimnis“ kommt weitgehend ohne Larmoyanz aus, und das ist eine wesentliche Qualität dieses auch sehr unterhaltsamen Buchs. Sein Tonfall ist mal verspielt, mal sachlich, die Erzählhaltung grundiert von freundlicher Selbstironie, und der junge Mann, auf den der ältere zurückblickt, erscheint als eine Art Simplizissimus der Achtzigerjahre.

Zu seiner eigenen Überraschung wird das Altpapier zunächst zum Geschäftsmodell und später zur Schule des Schriftstellers. Der junge Mann aus der Provinz dreht frühmorgens in abgerissenen Klamotten seine Runden durch Wien von Container zu Container, taucht hinein, findet zwischen lauter Schund und Schmutz wertvolle Erstausgaben und Inkunabeln, die er Antiquariaten verkauft, findet Lesestoff, den er verschlingt und danach auf dem Flohmarkt zu Geld macht. Alles ist Abenteuer, ist Jagd und Reise.

Für die bescheidene Freiheit von ökonomischen und bürgerlichen Zwängen zahlt er jedoch mit Scham und der Angst vor dem endgültigen Scheitern als Schriftsteller:

„Das erfolglose Schreiben war finanziert (…). Dies jedoch um den Preis, dass meine Geschäfte immer mehr Zeit in Anspruch nahmen, was das Schreiben weiter zurückdrängte. Im Ergebnis war das Schreiben nicht finanziert, sondern verhindert.“

Hier kommen Tagebücher und Briefbündel ins Spiel, die beim Entrümpeln ebenfalls im Altpapier gelandet sind. Der angehende Schriftsteller verschlingt auch diese intimen Äußerungen wildfremder Menschen, teils nach mühevoller Entzifferungsarbeit – mit ungeahntem Effekt. Die Alltagstexte, geboren aus einer Situation und ohne umständliche Erklärungen in sie hineingeschrieben, lehren ihn, was das Erzählen lebendig macht, wie er einer Freundin erklärt:

„Man müsse so schreiben, als sei das, was beschrieben werde, schon da. Die meisten Texte ließen sich anmerken, dass Geschichte und Figuren zuerst erschaffen werden müssten. Große Kunst setze später an, wenn alles schon existiere.“

Das kann man selbstredend anders sehen, und viele von Arno Geigers schreibenden Kollegen tun dies auch. Aber für das schriftstellerische Vorankommen des irgendwann nicht mehr ganz so jungen Mannes, der sich immer wieder an seinen beiden Schubladen-Romanen verkünstelt, erweist sich eine Entscheidung als besonders nützlich:

„Ich nahm mir vor, ein Künstler des Ungekünstelten zu sein.“

Diese Poetik des Alltags und der Unmittelbarkeit ist in der Tat ein wesentliches Merkmal von Arno Geigers Büchern. Und noch etwas ist hier zu erfahren, das mindestens so wichtig ist für sein Schreiben: Auch die authentisch wirkende Psychologie seiner Figuren und die Originalität ihrer Geschichten verdanken sich den Leben der Anderen, in die er so unvergleichliche Einblicke gewinnen konnte. Spürbar ausgewirkt hat sich dies bei der Arbeit an „Es geht uns gut“, dem Roman, der 2005 denn auch mit dem erstmals verliehenen Deutschen Buchpreis ausgezeichnet und danach zum Kassenschlager wurde.

„Das glückliche Geheimnis“, Arno Geigers bisher persönlichstes Buch, verwebt sein „Doppelleben“ als Containertaucher und werdender Schriftsteller mit wesentlichen Lebensstationen, mit den gewundenen Pfaden der Liebe, mit Krankheit und Tod von Eltern und Freunden und mit den Erfahrungen des Literaturbetriebsteilnehmers. Die erste Einladung nach Klagenfurt zum „Wettlesen“ um den Ingeborg-Bachmann-Preis 1996 kommt ebenso zur Sprache wie der überraschende Durchbruch ein knappes Jahrzehnt später, wie auslaugende Lesereisen, Stipendien in Berlin, Polen und den USA, Selbstüberforderung bei der Arbeit an den Büchern und nicht zuletzt das Verhältnis zum eigenen Verlag. Mit dem hatte Arno Geiger offenkundig noch ein, zwei Hühnchen zu rupfen, und dass auch dies hier nachzulesen ist, spricht letztlich für die Souveränität des Hauses Hanser. Etwas beherzter hätte man sich den Zugriff des Lektorats vor allem in der zweiten Hälfte des Buchs gewünscht; manche Sentenz tendiert hier zur Binse.

Es ist noch gar nicht so lang her, dass der Erfolgsautor seine Containerrunden als anonymer Mülltaucher aufgegeben, die letzten der teils jahrelang aufbewahrten Konvolute geschreddert und wieder dem Altpapier anheimgegeben hat. Seine Funde haben ihn unübersehbar nicht nur vieles über das Schreiben gelehrt, sondern auch über die archäologische Ressource Abfall, über das Archiv der Gefühle, das unerkannt im Altpapier schlummert, bevor es, wie es bei Geiger wörtlich und unverblümt heißt, „zu Brei geschlagen“ wird.

Die Allegorie auf Leben und Schreiben bildet den Hintergrund dieses originellen Selbstporträts. Darin sind die Glanzlichter wie die schattigen Partien sehr bewusst gesetzt. Erst so entsteht die Wirkung des Ungekünstelten. Ganz im Sinn des Autors.

Hanser Verlag München, 240 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-446-27617-8

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