Anna Katharina Hahn: Aus und davon (Foto: Pressestelle, Suhrkampverlag)

Buch der Woche

Anna Katharina Hahn - Aus und davon

Stand
AUTOR/IN
Theresa Hübner

Theresa Hübner hat sich von Anna Katharina Hahn den Stuttgarter Osten zeigen lassen, einen der Schauplätze des neuen Romans "Aus und davon" von Anna Katharina Hahn.

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Elisabeths Tochter Cornelia braucht eine Auszeit in den USA

Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Frauen. Elisabeth, in ihren 70ern, aber noch sehr rüstig und ihre Tochter Cornelia. Die Tochter ist erschöpft vom Alltag als arbeitende, alleinerziehende Mutter und braucht eine Auszeit, dafür fliegt sie ein paar Wochen in die USA.

Zuhause im Stuttgarter Osten übernimmt Elisabeth die Kinderbetreuung und zieht in die Wohnung ihrer Tochter, eher widerwillig, denn Cornelia wohnt ausgerechnet im Osten der Stadt.

Der Stuttgarter Osten: eine "bemitleidenswerte Arbeitergegend"

Die Ostendstraße als neue Adresse ihrer Tochter bedeutete für Elisabeth eine Ohrfeige, genau wie die Scheidung. Sie kannte Stuttgart-Ost lediglich vom Wegschauen, als bemitleidenswerte Arbeitergegend, durch die ihre Straßenbahn fuhr. Ost war für Elisabeth der Gestank, den die „Württembergische Fettschmelze und Häuteverwertung“ absonderte, das riesige Areal des Schlachthofs, wo sie aus dem Bahnfenster sehen konnte, wie Männer in weißen Overalls blutige Schweine und Rinderhälften an Haken herumschoben.

Autorin Anna Katharina Hahn mit ihrem neuen Roman „Aus und davon“ (Foto: SWR, Theresa Hübner)
Anna Katharina Hahn in Stuttgart am Ostendplatz, einem der Schauplätze ihres neuen Romans „Aus und davon“

Für ihr neues Buch „Aus und davon“ hat sich Anna Katharina Hahn den Stuttgarter Osten erschrieben. Wochenlang spazierte sie hier durch die Straßen, saß in Cafés und Kneipen und beobachtete, was sie sah. Das glich sie dann ab mit den Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit. Anna Katharina Hahn legt Wert auf Details und schaut sich „ihr Stuttgart“ sehr genau an.

Elisabeth - eine starke Frau

Auch ihre Figuren entwickelt sie mit großer Sorgfalt. Aus dem Roman bleibt vor allem die Figur der Elisabeth im Kopf, eine eigentlich starke Frau, die aber mit eigenen Sorgen zu kämpfen hat, denn ihr Mann Hinz hat sie gerade verlassen.

Der schwäbische Pietismus

Und dann sind da noch die Stimmen der Pietistinnen. Elisabeth wurde streng religiös erzogen, einerseits gab ihr das immer Kraft im Leben, anderseits leidet sie bis heute unter ihrer Erziehung:

Elisabeth kann die Stimmen der beiden Fellbacherinnen in ihrem Inneren nicht abstellen. Sie kommen ihr dazwischen, wenn sie gar nicht mit ihnen rechnet. Ihre unermüdlichen inneren Mahnerinnen sind zwei gelbgesichtige Diakonissen, deren Frisuren schon so fadenscheinig sind, dass man die Kopfhaut sehen könnte, verbärgen nicht die Häubchen weiß und steif einen Großteil des dünnen Haares.

„Aus und davon“ ist ein Gegenwartsroman im besten Sinne, doch die Autorin weiß um die Bedeutung der Vergangenheit. Daher spielt der Roman nicht nur im Jahr 2017. Es geht auch darum, was die Figuren zu dem gemacht hat, was sie sind – das „Davor“.

Als Kind wird Elisabeths Mutter in die USA verfrachtet

Im Fall von Elisabeth ist es die Geschichte ihrer Mutter, genannt Trudele die in der Weltwirtschaftskrise, als in Stuttgart Hunger herrschte, als Haushaltshilfe in die USA geschickt wird. Geschickt wechselt das Buch zwischen den Zeiten.

Der Teil, der in den historischen USA spielt, wird von einer ganz besonderen Figur erzählt: Trudeles mit Linsen gefüllte Puppe, dem Linsenmaier. Der ist für das heimwehkranke Mädchen oft der einzige Trost und erzählt die Geschichte im Ton der Zeit.

Dann schniefte Trudele laut und undamenhaft, und der Linsenmaier wusste, dass jetzt sein Einsatz bevorstand. Sie brauchte ein Sacktuch. Es tat dem Linsenmaier wohl, wie sie ihn an sich drückte, gleichzeitig schmerzte es ihn, sie in Angst zu sehen.

Drei Generationen haben drei Sprachen

Auch die menschlichen Protagonisten haben ihren eigenen Ton, die ältere Elisabeth spricht anders als ihre Tochter Cornelia und selbst das ruppige Teeniedeutsch der Kinder trifft Anna Katharina Hahn perfekt.

Wo die Kommunikation abbricht oder scheitert, sind meist die elektronischen Kommunikationsmittel Schuld - wie in der Realität auch. Mit „Aus und davon“ hat Anna Katharina Hahn einen kunstvoll komponierten Familienroman vorgelegt, klug und durchdacht. Ein Stuttgart-Roman, nicht nur für Leserinnen und Leser aus dem Ländle.

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Theresa Hübner