Buchkritik

Ananda Klaar – Nehmt uns endlich ernst! Ein Aufschrei gegen die Übermacht der Alten

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AUTOR/IN
Mia Kumlehn

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Wer darf politische Entscheidungen treffen? Für wen und warum? Diese und weitere Fragen beschäftigen Ananda Klaar. In ihrem Buch "Nehmt uns endlich ernst!" untersucht sie, wie in Politik, Bildung, Gesundheit und Klimafragen über Jugendliche entschieden wird, anstatt mit ihnen gemeinsam. Ananda Klaar schreibt ein Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit jungen Menschen und einen stärkeren intergenerationellen Austausch.
Rezension von Mia Kumlehn.

Piper Verlag, 176 Seiten, 14 Euro
ISBN 978-3-492-31899-0

Rücksichtslos, selbst-bezogen und partywütig - So oder so ähnlich wurden junge Menschen während der Pandemie in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Mit diesem schlechten Image der Jugend will Ananda Klaar in ihrem spannenden Buch: „Nehmt uns endlich ernst!“ brechen. Sie legt offen, wie junge Menschen ausgeschlossen und übergangen werden. Die Pandemie diente dabei nicht als Ursache, sondern als Katalysator und hat viele bestehende Probleme zum Vorschein gebracht und verschlimmert.

Bereits im Juli 2021 veröffentliche Ananda Klaar einen Artikel in der ZEIT über Jugendliche als Verlierer der Pandemie: von ihnen wurde Solidarität gefordert, doch Platz für ihre Sorgen gab es keinen. Der Artikel polarisierte. In Ihrem Buch knüpft sie daran an und erweitert ihre Kritik. Jugendliche wurden nicht nur mental, sondern tatsächlich räumlich verdrängt.

Die Schließung der öffentlichen Räume habe sie besonders hart getroffen. Die meisten leben bei den Eltern und konnten daher nicht frei über ihren Wohnraum entscheiden. Gleichaltrige im Freien zu treffen, wurde durch strenge Polizeikontrollen quasi unmöglich. An anderen Stellen wurde weniger hart durchgegriffen, beispielsweise bei Menschen, die ihre Masken falsch trugen.

Klaar bleibt realistisch „Natürlich kann man der Polizei nicht nachweisen, dass sie auf Jugendliche strenger geachtet hat als auf erwachsene Pendler*innen. Aber subjektiv ist dieses Gefühl der Ungerechtigkeit bei vielen aus meiner Generation hängen geblieben.“ (S.34) erklärt sie.

Aufgrund solcher empfundenen Ungerechtigkeiten möchte sich die Autorin, selbst 2003 geboren, für die Anliegen ihrer Generation stark machen. Das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden, illustriert sie mit persönlichen Erlebnissen und belegt es mit Daten und Fakten. Sie untersucht die verschiedenen Lebensbereiche der Jugendlichen und kritisiert Entscheidungen in Politik, Schule und Bildung, Klima-, Finanz- und Gesundheitsfragen.

So kämpfen junge Menschen seit der Pandemie mit ganz besonderen gesundheitlichen Problemen: Viele Kinder und Jugendliche haben psychische Probleme, aber es mangelt an Therapieplätzen. Zahlreiche Stellen für Kinderärzte sind unbesetzt und auch in der Schule werde kein anwendbares Gesundheitswissen vermittelt.

Während die Grundzüge ihrer Argumente insbesondere jungen Lesern und Leserinnen bekannt sein dürften, schafft es Klaar, auch neue Verbindungen und überraschende Vergleiche zu finden. So kritisiert sie unter anderem das Mindestalter für Wahlen. Die Begründung für ein niedrigeres Wahlalter findet die Autorin nicht in moralischen Apellen, sondern in einem historischen Vergleich: „no taxation without representation!“ Das war eine zentrale Forderung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung vor 250 Jahren, könnte aber auch von Jugendlichen heute stammen. Viele von Ihnen arbeiten und zahlen Steuern, dürfen aber aufgrund ihres Alters nicht wählen und werden daher nicht repräsentiert. Die logische Folge für Klaar ist die Senkung des Wahlalters.

Die Autorin schaut nicht nur zurück, sondern ebenso in die Zukunft. Doch auch in der Zukunftsplanung finden die Belange von jungen Menschen kaum Gehör, kritisiert Klaar. Besonders ausgeprägt ist dieses Problem mit Blick auf den Klimawandel: Hier entscheiden in der Regel Menschen über Maßnahmen, deren Konsequenzen sie selbst – aller Wahrscheinlichkeit nach – nicht mehr erleben werden. Die kommenden Generationen hingegen schon.

Bei aller Kritik finden sich auch viele Vorschläge und Ideen, wie die aktuelle Situation verbessert werden kann. Für Schule fordert Ananda Klaar, dass nicht mehr mit Tafel und Kreide unterrichtet wird, sondern dass digitale Medien stärker eingebunden werden. Es sollten verschiedene Arten des Lernens gefördert werden und Inhalte sollten sich auch an den Interessen der Lernenden orientieren.

Oft spricht Ananda Klaar von Wir Jungen gegen die Alten. Eine tatsächliche „Anti“-Haltung kann man ihr aber nicht vorwerfen. So betont sie immer wieder, wie wichtig der Austausch und das gegenseitige Zuhören sind. Notwendig dafür ist, dass junge Menschen ernst genommen werden.

Nur, wenn die verschiedenen Generationen einander auf Augenhöhe begegnen, kann ein produktives Miteinander entstehen. Ananda Klaar bietet mit ihrem klar argumentierenden Buch eine Grundlage für so ein Gespräch und man kann nur hoffen, dass ihre Kritik ernst genommen wird.

(Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.)

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Mia Kumlehn