Buchkritik

A.J. Liebling – Zwischen den Gängen. Ein Amerikaner in den Restaurants von Paris

Stand
AUTOR/IN
Christoph Schröder

Der amerikanische Starjournalist A.J. Liebling pflegte eine innige Liebe zur Stadt Paris und zur französischen Küche. Nun sind seine so eleganten wie witzigen Texte über das Essen, das Trinken und über die Perversion der Enthaltsamkeit in einer Neuauflage erschienen.

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Bereits auf den ersten Seiten dieses wunderbaren Buchs gibt A.J. Liebling die Tonlage zu erkennen, die in allen seinen Texten herrscht. Liebling nimmt sich die berühmte Madelaine vor, jenes Gebäck, das in Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ zum Auslöser der Erinnerung und zur Initialzündung für einen der bedeutendsten Romane der Literaturgeschichte wurde. Ein kleines, eher unbedeutendes Nichts sei diese Madelaine, so erklärt Liebling, mit einem Anteil von Cognac, der so gering sei, dass man damit noch nicht einmal eine Mücke massieren könnte. Eine Petitesse, denkt sich der Autor. Und spinnt diesen Gedanken im Hinblick auf Prousts künstlerisches Schaffen weiter:

„Nach einem Dutzend Gardiners-Island-Austern, einem Teller Muschelsuppe, ein paar frisch gefangenen Jakobsmuscheln, drei sautierten weichschaligen Krabben, einigen soeben gepflückten Kolben Mais, einem dünngeschnittenen Schwertfischsteak von generöser Breite, zwei Hummern und einer Long-Island-Ente hätte er möglicherweise ein Meisterwerk verfasst.“

Allein schon der Auftakt dieses Textes, der den Titel „Ein guter Appetit“ trägt, zeigt die Stärken von A.J. Liebling, die weit über rein journalistische Fähigkeiten hinausgingen. In Lieblings zwischen Reportagen und Essays oszillierenden Texten zeigen sich eine feine Ironie, die blitzartig in einen derben Witz kippen kann, aber auch ein niemals aufdringlich inszenierter Bildungshintergrund und vor allem – ein guter Geschmack. Auch wenn aus heutiger Perspektive manche Leserinnen und Leser widersprechen würden. Denn die Hemmungslosigkeit und die Offenheit, mit denen Liebling ein Loblied auf die Völlerei singt, dürfte im auch kulinarisch prüden 21. Jahrhundert durchaus auf Befremden stoßen.

A.J. Liebling ist knapp 22 Jahre alt, als er im Jahr 1926 zum ersten Mal für einen Jahresaufenthalt nach Paris kommt, von seinem Vater großzügig mit einem Budget ausgestattet. Liebling entdeckt Paris und die klassische französische Küche für sich. Doch in keinem der Texte erweist sich Liebling als unreflektierter Schlemmer. Er weiß, was er tut und noch genauer, was er isst. Er macht Freundschaften und Entdeckungen, beobachtet den Niedergang des einen oder anderen Lieblingsrestaurants, den er sich schon seinerzeit mit dem gesellschaftlichen Wandel vom sorgfältig erlernten Handwerk hin zum reinen Dienstleistungsgewerbe erklärt.

Und Liebling wirft aus der Perspektive des geübten Essers auch einen diagnostisch scharfen Blick auf das Milieu der Reichen, die die Seezunge lieben, weil sie nicht nach Fisch schmeckt, und die in den von ihnen bevorzugten, überteuerten Restaurants niemals in den Genuss geräucherter Kuttelwürste oder eines alten und darum umso geschmacksintensiveren Truthahns kommen werden. Auch im Hinblick auf die Wahl der Getränke ist A.J. Liebling gleichermaßen puristisch wie auf elegante Weise boshaft:

„Wodka ist das ideale Berauschungsmittel für den Trinker, der nicht daran denken mag, wie tief verletzt Mutti wäre, wenn sie wüsste, was er da treibt.“

Einmal, im Jahr 1956, verschlägt es Liebling in eine noble Fastenklinik in der Schweiz. Ein Irrenhaus sei das, stellt er fest, nur dass die Patienten die Aufgaben des Personals übernommen hätten. Lange hält er es nicht dort aus. Zu seiner geistigen und körperlichen Gesundung verordnet Liebling sich nach seiner Entlassung eine Aufpäppelung mit reichlich Wein und fetten Speisen. Sein Urteil über die disziplinierte Lebensweise fällt dementsprechend ungnädig aus:

„Kein vernünftiger Mensch kann es sich leisten, ohne ungesunde Vergnügungen zu existieren; kein Asket kann als verlässlich bei Sinnen gelten. Hitler war der Archetyp des enthaltsamen Menschen. Als die anderen Krauts ihn im Bierkeller Wasser trinken sahen, da hätte ihnen klar sein müssen, dass diesem Mann nicht zu trauen war.“

„Zwischen den Gängen“ ist ein Buch der Ausschweifungen, das den melancholischen Abgesang auf die besten Zeiten der Küche bereits in sich trägt. Insofern sind Lieblings Texte die ideale Festtagslektüre für Genießer und Nostalgiker. Man muss sich ja schließlich nicht ständig zusammenreißen.

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Christoph Schröder