Der Autor Ludwig Harig ist tot

Der Luftkutscher

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Ein Nachruf von Tilla Fuchs

Er war der bedeutendste saarländische Autor der Gegenwart: Ludwig Harig. Mit sprachexperimentellen Texten, inspiriert u.a. durch die französische Literatur der 50er und 60er Jahre, hat er seine literarische Karriere begründet, doch es waren seine großen, eher traditionell geschriebenen autobiographischen Romane über die Zeit des Nationalsozialismus, die den Sulzbacher berühmt gemacht haben: „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ oder „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“. Jetzt ist Ludwig Harig im Alter von 90 Jahren gestorben.

Ludwig Harig war ein akribischer Mensch, ein sorgfältiger Schreiber, ein präziser Beobachter seiner Mitmenschen und seines Umfelds. Kurioserweise war der Name, der dem berühmten Saarländer in seiner Heimat am meisten anhaftete aber der des „Luftkutschers“:

„Die Oma hat gesagt: der Bub ist ein Luftkutscher. Und der Beruf, den ich schließlich ausgeübt habe, mein Leben lang, ist ja der Beruf eines Luftkutschers, eines Menschen, der eigentlich nicht die gleichen Kontakte mit der Erde hat, wie der normale Mensch sie eigentlich haben sollte, um in der Welt zurechtzukommen, sondern ich bin immer in irgendeiner Weise ein bisschen über der Erde hinwegbalanciert und hab meine Sprüche gemacht.“

Geprägt von der Kindheit im Dritten Reich

Dabei beginnt alles sehr bodenständig: Am 18. Juli 1927 kommt Ludwig Harig im saarländischen Sulzbach zur Welt, wie viele dort ein Sohn von Bergleuten, Bauern und Handwerkern. Als Ludwig Harig acht Jahre alt ist, wird das Saarland an Hitlerdeutschland angeschlossen. Für den Jungen ändert sich alles: Seine Verführung und Verführbarkeit durch die Naziideologie beschreibt er 1990 eindrücklich in seinem autobiographischen Roman „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“:

Sprachexperimente und Hörspiel-Skandal

Bis 1945 ist Ludwig Harig im Reichsarbeitsdienst tätig und wird nach dem Krieg Grundschullehrer im Saarland, nicht ohne einen kurzen, aber für sein Leben und sein literarisches Schaffen bedeutsamen Aufenthalt in Lyon, wo er 1949/1950 als Deutschassistent arbeitet. Insbesondere die Literatur der sprachspielerischen Gruppe OULIPO rund um Raymond Queneau und Georges Perec – beeindrucken und beeinflussen ihn. Harigs erste eigene Texte erscheinen ab Mitte der 1950er Jahre, bald folgen Gedichte, die in der Tradition des Philosophen Max Bense stehen: sprachverliebt, verspielt und voller Humor.

Und: Harig verfasst Hörspiele, etwa eine Karikatur des Begräbnisses von Konrad Adenauer. Das Hörspiel „Staatsbegräbnis“ wird ein Skandal und begründet, zusammen mit den Hörspielen junger französischen Autorinnen und Autoren, den Ruf des saarländischen Hörspiels in den 1960er Jahren.

Erfolg mit der großen Form des autobiographischen Romans

Ab 1974 arbeitet Harig als freier Schriftsteller. Der Ruhm kommt rund zwölf Jahre später: In Deutschland und über die Grenzen des Landes hinaus bekannt gemacht haben ihn drei Romane, die ab 1986 erscheinen und die in eher traditioneller Weise geschrieben sind: „Ordnung ist das ganze Leben“, „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ und „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“. Autobiographische Romane, die die Zeit des Nationalsozialismus aus der persönlichen Perspektive und von einem geographisch genau definierten Standpunkt aus zu erfassen suchen. Denn eines war für Ludwig Harig stets klar: er war und blieb ein saarländischer Schriftsteller und er betrachtete die Welt und die Geschichte durch das Prisma seiner Heimat Sulzbach:

„Ich selber plädiere immer für den Regionalismus, für die Kenntnisnahme des engeren Raumes. Und aus dem engeren Raum von dem kann man nur ausgehen, ich kann nicht hier machen, als wenn ich in Hamburg wäre oder in New York.“

Doch Ludwig Harig war auch ein großer Reisender: Er fuhr nach Japan, durchstreifte den vorderen Orient, bereiste Skandinavien und die USA. Stets an seiner Seite: seine Frau Brigitte, die Unterstützerin und erste Leserin seiner Texte. Die Dichterin Felicitas Frischmuth, die 2009 im Saarland gestorben ist und mit Harig befreundet war, schrieb ihm einmal, dass es die eigentlich sesshaften Menschen seien, die stets am weitesten reisen müssten.

Ludwig Harig, der Luftkutscher, hat seine letzte Reise angetreten.

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SWR