SWR2 am Morgen

Der Fluch vom Wörthersee

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Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Als ich mich vor zwanzig Jahren daran machte, als nicht mehr ganz junger Autor Klagenfurt zu erobern, erhielt ich den ersten Dämpfer noch vor Beginn des Bachmann-Wettbewerbs. Am Abend vor der ersten öffentlichen Lesung zog ich die Nummer, die man niemandem wünscht: Platz Eins. Ich sollte als erster lesen.

Sogleich stürzten sich ein paar Wohlmeinende auf mich, um mir ihr Beileid auszusprechen. Die Sache, so schien es, war schon gelaufen. Klar: Noch nie hatte ein erster plazierter Kandidat den Bachmann-Preis gewonnen, und auch auf die hinteren Ränge hatte es bislang offenbar keiner geschafft. Wozu überhaupt noch auftreten? Ich hätte eigentlich nach Hause fahren können. Was mich davon abhielt war zum einen das Honorar und zum anderen die geheime Hoffnung, ich könnte den Bann vielleicht durchbrechen. Ich durchbrach ihn nicht. Ich verließ den Platz mit leeren Händen.

Ich hab’s überlebt und die Geschichte als Anekdote ohne Pointe abgelegt.

Als ich zwanzig Jahre später gefragt wurde, ob ich selbst Juror werden wollte, sagte ich zu nach einer Zeit des Überlegens, in der ich mich vor allem gefragt hatte, wie man gerade auf mich gekommen war. Auf einen Klagenfurt-Verlierer! Nur ahnend, was auf mich zukommen würde, willigte ich schließlich ein.

Im ersten Jahr ging alles so weit ganz gut, außer dass keiner meiner Kandidaten einen Preis erhielt. Meine Alpträume bewahrheiteten sich nicht, das unüberwindliche Lampenfieber überfiel mich nicht, und ich hatte auch keine Blackouts. Im zweiten Jahr aber geschah es dann: einer meiner beiden Kandidaten – ein Schweizer wie ich - zog die Platznummer eins. Die Arschkarte. Er gewann keinen Preis. Er kam nicht mal auf die shortlist.

Und dann im folgenden Jahr? Ich will nicht sagen, ich hätte meine Kandidatin am liebsten geohrfeigt, als sie die Eins zog, aber mir kam es vor, als ob sie mir eine Ohrfeige versetzt hätte. Es waren noch mehr als ein halbes Dutzend andere Karten in dem urnenförmigen Gebilde. Oder war’s ein Karton? Warum musste sie gerade diese ziehen? Weil ich schon damals die falsche gezogen hatte? Weil mich der Fluch vom Wörthersee verfolgt? Nicht nur mich, sondern auch meine Kandidaten?

Es kam dann, wie es seit dreiunddreißig Jahren immer kommt. Sie las als erste und ging nicht gerade als letzte, aber doch – wie ich vor über 20 Jahren - mit leeren Händen nach Hause. Und war vielleicht, wie ich, um eine Erfahrung reicher: Man kann dem Schicksal nicht entrinnen. Mal sehen, welche Nummern meine Kandidaten nächstes Jahr ziehen.

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