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Bestimmt nächstes Mal

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Deutsche Schriftsteller und Autoren schreiben über ihre kleinen Niederlagen

Eine meiner größten Niederlagen erwischte mich just zu der Zeit, in der ich mich auf einen Triumph vorbereitete. Mein erster Roman Scherbenpark sollte genau in dem Verlag erscheinen, von dem ich schon immer geträumt hatte. Und ich wurde zum Wettlesen nach Klagenfurt eingeladen, in dem der Sieger den renommierten, wunderbaren, hochbegehrten und ebenso hoch dotierten Bachmannpreis bekommen würde.

Ich wusste nicht so genau, was das eigentlich bedeutete. Noch vor dem eigentlichen Erscheinen des ersten Romans eine halbe Stunde daraus nicht vor Saalpublikum, sondern auch in einer Live-Übertragung im Fernsehen vorzulesen, das hörte sich ebenso sensationell wie gruselig an. Ich hatte noch nie aus meinem Buch vorgelesen. Meinen letzten öffentlichen Auftritt hatte ich in der Grundschule. Wenn ich mit fremden Menschen telefonierte, verstanden sie mich oft erst im dritten Anlauf. Egal.

Ich nahm fünf Stunden Sprechunterricht. Meine Sprechlehrerin, eine wunderbare Dame mit herzoglichen Manieren, schaffte es zwar auch nicht, mir die korrekte Aussprache des Wortes "Pferd" beizubringen, sagte aber, die Bachmann selber hätte damals auch ganz schrecklich gelesen. Das sei bei Dichtern normal.

Ich überlegte schon mal, wie ich das Preisgeld ausgeben könnte.

Dann kam der Auftritt, und ich war in der für mich bestmöglichen Form. Ich zitterte fast gar nicht, verhaspelte mich nicht beim Vorlesen und kippte mein Wasserglas nicht um. Ich war zufrieden mit mir. Dann begann die Jury zu diskutieren. Eine Jurorin sagte, sie bräuchte einen Psychologen, um meinen Text zu verstehen; ein Juror hatte generelle Bedenken gegen den Inhalt, und ein dritter schlug vor, alles komplett umzuschreiben. Um es kurz zu machen: Ich bekam weder den Bachmannpreis noch einen der gefühlten 24 Neben-Preise, die an diesem Abend ausgeschüttet wurden.

Ich fuhr nach Hause, wenig später erschien mein Buch, und mein Opa aus Sibirien rief mich an. Seit ich im Alter vor zwölf Jahren aus seinem Blickfeld verschwunden war, weil meine Eltern mit mir nach Deutschland zogen, galt ich als seine Lieblingsenkelin. Irgendjemand hatte für ihn etwa 1000 deutsche Webseiten, auf den ich erwähnt wurde, mit dem Google Translator übersetzen lassen und ausgedruckt.

"Herzlichen Glückwunsch zu deinem kreativen Erfolg", sagte Opa und raschelte im Hintergrund mit meiner Google-Akte.
"Danke", sagte ich vorsichtig.
"Ich habe gehört, in Deutschland lesen alle dein Buch, sagte Opa.
"Naja, fast", sagte ich.
"Und herzlichen Glückwunsch auch zu diesem Preis, den du da gewonnen hast", sagte Opa.
"Ich hab doch gar nicht", sagte ich.
"Aber hier steht", Opa raschelte mit den Seiten, "dass du zur Preisverleihung eingeladen warst."
"War ich auch. Das heißt aber gar nix. Ich habe keinen Preis gewonnen.
"Sicher?" fragte Opa misstrauisch. Ich galt in meiner Familie als zu bescheiden.
"Ich schwöre", sagte ich.
"Naja", sagte Opa und tat, als würde er mir glauben. "Dann bestimmt nächstes Mal."

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