Ein Dichter, der nicht viel Worte machte
Christoph Meckels Gedichtbände hießen „Tarnkappe“, „Wildnisse“ und „Säure“. Die Titel der oft in kleinen Verlagen publizierten Bücher waren auch als poetisches Programm zu verstehen. Sie zeugten nämlich von einem Dichter, der nicht viel Worte machte, der aus kleinen Beobachtungen grundsätzliche Phänomene ableiten konnte, der so bitterböse, präzise und hart, aber auch sensibel, feinfühlig und dann wieder auf angriffslustige Weise humorvoll sein konnte.
So frei die Rhythmik, so gewitzt der Zeilenumbruch. Wer heute die Lyrik des gerade mal zwanzigjährigen Meckel liest, wird erstaunt sein über deren Modernität und darüber, dass seine Kunst der formlosen Form und seine aufwirbelnde Wahl der Worte in so vielen Werken von Dichterinnen und Dichtern nachhallen, die heute den lyrischen Ton angeben.
Christoph Meckel hat diesen Ton gesetzt, er hat nach dem großen Zivilisationsbruch, nach dem Ende des NS-Grauens auch Schluss gemacht mit Versen, die wahlweise pathetisch, bieder oder im teutonischen Sinne erhebend waren. Die Zeitgeschichte ist oft präsent in den vielen Texten, die er veröffentlicht hat.
„Suchbilder“ - Abrechnung mit den Eltern
Das wird besonders in den beiden sogenannten „Suchbildern“ deutlich, jenen erschreckend radikalen Prosastücken über seinen Vater und über seine Mutter, die mit dem Opportunismus und der Lieblosigkeit der Eltern abrechneten. Der Vater, Eberhard Meckel, war ein erfolgreicher Journalist und Schriftsteller in den 1930er-Jahren, ein bürgerlich-liberaler Ästhet und überzeugter Weltkriegssoldat. Über ihn schrieb der Sohn Christoph Meckel in seinem „Suchbild“:
Beim Vater noch Ambivalenz, bei der Mutter dann nur noch sprachliche Säure:
Mich haben diese Werke erschüttert, in vielfacher Weise, und sie haben auch dazu geführt, dass ich nach der Lektüre nichts mehr anderes tun konnte, als mich mit Literatur zu beschäftigen.
Lobgesänge auf die weiche Landschaft Südbadens
Meine Tante, die jahrzehntelang als Bibliothekarin in Freiburg arbeitete und die Christoph Meckel gut kannte, schenkte mir die beiden Suchbilder, da war ich gerade mal im ersten Studienjahr. Was mich an der Prosa beeindruckte, waren – neben den Abrechnungen und Anklagen, die den Autor ganz bewusst angreifbar und verwundbar machten – auch die nahezu zärtlichen Lobgesänge auf die weiche Landschaft Südbadens. Meckel war ein Dichter, der die Schönheit der Natur einerseits erkannte und ihr andererseits misstraute, so dass er sie mit schnoddrigen Formulierungen sich vom Leib zu halten schien.
Das Raue interessierte ihn mehr als das Glatte
Seine Gedichte bezogen sich erstaunlich oft auf die lyrische Tradition, wirkten aber nie bildungsbeflissen. Er konnte viel, es ging ihm aber nie darum, das perfekte Kunstwerk zu erschaffen, er war kein Wortschleifer. Ihn interessierte das Raue eher als das Glatte.
Diesen Impuls kann man auch in seinen Zeichnungen erkennen. Sein grafisches Werk ist in zahlreichen Ausstellungskatalogen dokumentiert, zu dem auch Illustrationen zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehören.
Ein Schriftsteller, der nicht in wenigen Sätzen zu charakterisieren ist
Viele Preise hat Christoph Meckel erhalten, und in den Begründungen ist nachzulesen, wie schwer es doch ist, diesen Schriftsteller in wenigen Sätzen zu charakterisieren. Es scheint, als habe Meckel sich oft unter jener Tarnkappe verstecken wollen, die er zu Beginn seiner literarischen Laufbahn mit düsteren Versen bedachte und die sich nicht nur wie ein ästhetisches Manifest, sondern heute auch wie ein frühes Vermächtnis lesen.
Mit Christoph Meckel ist einer der wortmächtigsten Lyriker im Nachkriegsdeutschland, überhaupt ein großer Dichter deutscher Sprache gestorben.