Literatur

Bukarest und das Glück - Der rumänische Autor Filip Florian

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AUTOR/IN
Gisela Erbslöh
Gisela Erbslöh (Foto: SWR, SWR)

Er ist eine herausragende Stimme der Literatur Rumäniens: der Schriftsteller Filip Florian. Der 49-Jährige ist in Bukarest und in den transsilvanischen Wäldern und Bergen rund um Sinaia zu Hause.

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Filip Florián lebt in Bukarest und in Sinaia, einer kleinen Stadt in den Südkarpaten. Filip Florián war einundzwanzig, als der rumänische Diktator Ceausescu stürzte. Auf dem Balkon des Palastes der kommunistischen Partei hielt er im Dezember 1989 seine letzte Rede. Filip Florian war dabei.

„Hier unten standen 200.000 Menschen und hier begann die sogenannte Revolution. Wir sahen, wie der Hubschrauber auf dem Dach landete, Ceausescu einstieg und fünf Minuten später fortflog. Ich stand hier unten. Unglaublich, ich war dabei!“

Ehemalige Gefolgsleute exekutierten den Diktator und seine Frau. Viele Rumänen hofften damals, dass sich die politische Situation in ihrem Land verbessern würde. Doch das Verschweigen, Täuschen und Lügen, sagt Filip Florian, sei weiter gegangen.

Roman „Kleine Finger“ über die Zeit nach Ceausescu

Die verwirrende Atmosphäre dieser Zeit hat Florian in seinem ersten Roman „Kleine Finger“ verarbeitet. Er erschien 2005 und bekam gleich mehrere Literaturpreise.
Das Buch erzählt unter anderem von einem ehemaligen Häftling, der seit Ceausescus Sturz davon träumt, seinen ermordeten Leidensgenossen ein Denkmal zu setzen. Er schließt sich einem Mann an, der als Opfer des alten Regimes auftritt. In Wirklichkeit hat er aber an Folterungen teilgenommen. Filip Florian:

„In den 90er Jahren konnte sich jeder als Opfer bezeichnen. Politische Häftlinge waren natürlich richtige Opfer. Aber die Offiziere, die die Häftlinge verhört hatten, sahen sich auch als Opfer, weil es ihnen im Regime der 90er Jahre weniger gut ging als im kommunistischen. Ich habe versucht, die Vorgänge in meinen Roman nicht wie ein Jurist zu erklären, sondern die vernebelte Atmosphäre der Zeit wiederzugeben.“

Ehemalige Securitate-Leute und kommunistische Führer hätten im neuen Rumänien schnell wieder die Geschäfte übernommen, sagt Filip Florian. Die Verbrechen der Vergangenheit seien noch längst nicht aufgearbeitet.

Die Securitate und ein Massengrab

Immer wieder wurden im postsozialistischen Rumänien Massengräber entdeckt. Davon erzählt auch Filip Florian in seinem Roman „Kleine Finger“. Darin versucht der Kommandant der Ortspolizei die Entdeckung eines solchen Grabes für sich zu nutzen. Er widerspricht Archäologen, die sagen, das Grab sei aus dem Mittelalter, und veröffentlicht eine gefälschte Pressemitteilung. Das Massengrab, behauptet er, enthalte die Opfer eines Massakers durch die Securitate. Der Kommandant hat früher selbst Häftlinge gefoltert. Jetzt hofft er, als geläuterter Kämpfer für die Wahrheit durchzugehen. So geht es weiter mit Manipulation und Betrug. Das ist der gegenwartsbezogene, realistische Aspekt des Romans.

Phantastische Elemente und das kleine Glück

Der andere, ironisch-phantastische, den Florian in keinem seiner Romane auslässt, spielt sich in geheimen Träumen und Erinnerungen ab. In Anekdoten, Klatsch und Legenden wird mal komisch, mal bitterernst Rumäniens jüngste Vergangenheit aufbereitet. Das Leben erscheint hier durch und durch absurd. Und doch hat Filip Florians Erzählung auch Raum für das kleine Glück. Für Liebe und Freundschaft, für Tapferkeit und Widerstand gegen Repression.

„Auch in der Diktatur gab es Momente des persönlichen Glücks, als Erinnerung, im Traum, wie auch immer. Wahrscheinlich zieht sich diese fixe Idee, in all dem Unglück nach Glück zu suchen, durch alle meine Bücher.“

Rumäniens alte Sommerhauptstadt in den Südkarpaten

Einen Teil des Jahres verbringt Filip Florian in Sinaia in den Südkarpaten, etwa eine Zugstunde nördlich von Bukarest. Die Stadt entstand um das Sommerschloss von König Carol I. und das uralte Kloster Sinaia herum. Palasthotels, ein berühmtes Casino und prächtige Villen verteilten sich auf den Hängen. Das früher so romantische Tal wurde im 20. Jahrhundert mit Neubauten und Bauruinen zugepflastert. Doch noch immer leuchten darüber die Wälder und die Gipfel der Zweitausender.

Schloss der rumänischen Stadt Sinai vor romantischer Bergkulisse (Foto: SWR, SWR - Gisela Erbslöh)
Schloss der rumänischen Stadt Sinai vor romantischer Bergkulisse

Roman „Alle Eulen“

In den Wäldern von Sinaia könnte Filip Florians Roman „Alle Eulen“ spielen, der 2016 auf Deutsch erschienen ist. Er verknüpft die Erfahrungen eines Jugendlichen der postsozialistischen Zeit mit den düsteren Lebenserinnerungen eines alten Mannes. Dieser kann mit Eulen sprechen und weist dem Jungen den Weg zum Geheimnisvollen. Zugleich gibt er ihm durch seine Erinnerungen im sozialistischen Rumänien Wissen über die Vergangenheit und Urteilskraft für die Gegenwart mit.

Demonstrationen in Bukarest

Auf dem Siegesplatz in Bukarest demonstrieren heute immer wieder Bürger gegen ihre korrupte Regierung. Filip Florian hofft auf die Generation seines Sohnes, die nach dem Ceausescu-Regime groß geworden ist. Sie könnte stark genug werden, um Rumänien zu verändern.

„21 Jahre habe ich unter dem Kommunismus verbracht. Er steckt mir in den Knochen. Ich weiß, was es heißt, in einer Diktatur zu leben.“

Produktion 2018

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