Buch der Woche

Brigitte Kronauer - Das Schöne, Schäbige, Schwankende

Stand
AUTOR/IN
Frank Hertweck

„Schreiben ist eine einsame Sache. Klingt toll! Sie treibt uns zwischendurch zu idiotischen, desperaten Spielchen und Gedankengängen.“

Eine Schriftstellerin voller Selbstzweifel in einem Panoptikum voller Sonderlinge: Das ist der Rahmen von Brigitte Kronauers letztem Roman – und es ist ein passendes Bild für das Leben der großen, eigenwilligen Schriftstellerin.

Audio herunterladen (6,2 MB | MP3)

Das Vermächtnis der Autorin Brigitte Kronauer

Der Roman „Das Schöne, Schäbige, Schwankende“ war schon angekündigt, als sie vor wenigen Wochen starb. „Staunen kann man darüber, welchen Einfluss die Künstler einmal auf den Glauben der Menschen hatten.“ Ihr letzter Roman enthält sowas wie das Vermächtnis von Brigitte Kronauer.

Alle Themen dieser Autorin versammeln sich in ihrem letzten Roman, er ist leichter lesbar als viele seiner Vorgänger, zugänglicher, deutlicher, gradliniger, nicht mehr so dicht gearbeitet, weniger anspielungsreich, klaustrophobisch, obsessiv, spielerisch, gewitzt. 

Er gehört darum vielleicht nicht zu ihren Meisterwerken wie "Der berittene Bogenschütze", wie "Teufelsbrück", wie "Verlangen nach Musik und Gebirge". Aber man erhält mit diesen Romangeschichten einen trostreichen und zugleich traurigen Blick in den Maschinenraum einer großen deutschen Autorin.

Die traurige Koinzidenz zweier Ereignisse

Autorin Brigitte Kronauer (Foto: Pressestelle, Juergen Bauer)
Autorin Brigitte Kronauer

Gerade war angekündigt, dass der neue Roman von Brigitte Kronauer ein paar Wochen früher veröffentlicht würde, da verstarb die Autorin nach langer Krankheit. So kann man sich nicht davon frei machen, dieses Buch auch als ein Vermächtnis zu lesen und die Gedanken über Krankheit, das Alter, über den Tod auf die Autorin zu beziehen. 

Und die erste Stimme, die im neuen Roman: "Das Schöne, Schäbige, Schwankende" erklingt, ist die von Charlotte – sie ist Schriftstellerin.

„Kürzlich konnte ich einige Zeit in ihrem Häuschen mit den blauen Schlagläden verbringen, um dort zurückgezogen an einem Romanmanuskript zu arbeiten.“

Die Protagonistin und die Autorin haben viele Gemeinsamkeiten

Wir erfahren von einer Autorin in der Literaturbetriebsdefensive und ahnen die Nähe zu Brigitte Kronauer:

„Das Manuskript trug den vorläufigen Titel „Glamouröse Handlungen“, der ein bisschen aggressiv gemeint war, denn solange ich veröffentliche, hat man mir vorgeworfen, mal grob, mal mit sanftem Kopfschütteln, vom sogenannten Plot nichts zu verstehen, im Klartext heißt das, man unterstelle mir narrative Impotenz.“

Stimuliert vom Interieur der Unterkunft, eine Überfülle an Fotografien, Schaubilder und Zeichnungen von Vögeln, der Besitzer ist passionierter Ornithologe, geht die Fantasie der Autorin mit ihr durch.  Die scharfe Grenze zwischen Federn und Haut wird durchlässig. Aus Vögeln werden Menschen, aus Menschen Vögel.

39 Porträts von schillernden Personen

Wer die Romane von Brigitte Kronauer kennt, weiß um das Faible der Autorin für die opulente Pracht der gefiederten Wesen. Es ist ja genau das, was sie an Kleidung und Schmuck fasziniert, an Mode. Wo Kleider, Accessoires, Schuhe etc. ihre Beliebigkeit verlieren und begehrte Objekte werden, also im besten Sinne Fetische sind, genau da war Brigitte Kronauer zuhause.

So wenig wie ein Vogel seinen Federschmuck wählen kann, so wenig wählen Menschen ihre Leidenschaften für bestimmte Outfits. Und so individuell ist kein Ich, dass sich in ihm nicht ein Typus nachzeichnen ließe. Darum schreibt Charlotte 39 Porträts, die Namen tragen wie Die Prächtige, Der Gärtner, Der Charmeur, Der Höfling.

Ein barockes Arsenal von Sonderlingen, Außenseitern, von Schrägen, Abweichlern. Sie plaudern, reden, schwadronieren, Sprache dient nicht der Kommunikation, sondern ist auch nichts anderes als eine Art von Kleidung, eben aus Worten. Brigitte Kronauer interessiert sich immer schon  für die Schnittstelle von Natur und Kultur, darum für Triebe, für Obsessionen, Zwangshandlungen.

In Brigittte Kronauers Welt erscheint niemand frei

Nein, wirklich frei erscheint niemand in der Kronauer-Welt, in der das Ich nicht mehr Herr im Hause ist. Aber in der Addition sind diese ganzen Abweichler ja nichts anderes als – unsere Normalität. Keiner ist vorm Getriebensein gefeit.

Auch die Autorin ist infiziert. Ist denn der kalte, nüchterne Blick auf diesen Zoo der Schönen, Schäbigen, Schwankenden normal?

Brigitte Kronauer arbeitet wie ein Käfersammler im Gefilde der Menschen, der aus dem Gewimmel, aus dem Gewäsch der Menge die prächtigsten Exemplare aufspießt und ihrer Sammlung einverleibt. Das geht nicht ab ohne Leidenschaft. Das geht nicht ab ohne Härte. Auch gegen sich selbst. Siehe ihr alter ego Charlotte:

Schreiben ist eine einsame Sache. Klingt toll! Sie treibt uns zwischendurch zu idiotischen, desperaten Spielchen und Gedankengängen. Dem berüchtigten weißen Blatt, aus dem man gerne eine Legende macht, sitzt man ja nicht tatsächlich gegenüber. Man ist selbst das leere Blatt! Man schreibt auf der eigenen Leere Figuren, die man aus der spurlosen Weiße in sich selbst hervorpresst.

Nach dem Schaffensrausch folgt die Krise

Unsere Schriftstellerin fällt nach ihrem Schaffensrausch in eine tiefe Schreibkrise, erkrankt. Sie verliert ihre Fähigkeit zur Empfindsamkeit, die ja nichts anderes ist, als die Kehrseite ihres bösen Blicks.  

Die überwältigende Müdigkeit, die meinen Tageslauf zu bestimmen begann, war so mächtig, dass ich keine andere Wahl hatte ihr nachzugeben. Ich schleppe mich von einer der nötigsten Arbeiten zur nächsten, aber sobald sich eine Lücke in den dringendsten Verpflichtungen zeigte, legte ich den Kopf auf den Tisch, am liebsten den gesamten Körper aufs Sofa. Die Haltung bedeutete für mich Glück.“

Doch nach dieser Passionsgeschichte einer Autorin folgen die „Jahre mit Katja“. Ein junges Mädchen bewundert ihre leichtlebige Cousine, die im Kosmos der christlich-verklemmten Nachkriegszeit aneckt, weil sie nicht nur als Bardame arbeitet, sondern sich auch noch in den klischeehaftesten aller Italiener verliebt. Sie schätzt extravagante, bunte, leicht anzügliche, ja frivole Kleidung, schminkt sich noch schöner als sie eh schon ist und klingt wie ein Rollenmodell für die Erzählerin.

Leidenschaften sind Muster, die wir begehren

Und der Italiener wie ein Vorbild für viele Kronauer-Figuren, die etwas offensiv Halbseidenes haben, etwas Schmieriges, aber Galantes und Fremdartiges zugleich. Halbwelt, attraktive Gigolos, das Versprechen von Sexualität jenseits von Spießertum gerade in ihrer signalhaften Eindeutigkeit. Leidenschaften haben gar nichts mit Individuen zu tun, sondern mit Mustern, die wir begehren.

Und vielleicht steht diese Geschichte darum ganz logisch nach der über die Schreibkrise – als Rückbesinnung auf die Ursprünge der eigenen Prägungen, der entstehenden Kreativität, das Porträt einer Schriftstellerin als junge Frau?

Zum Abschluss ein Schwanengesang, und überraschenderweise von einem Mann erzählt: Herr Waldenburg. Er ist 92. Und erfährt noch einmal einen Hauch von Glück, weil seine Haushälterin mit ihrem Sohn für kurze Zeit bei ihm einzieht.  

Kunst fungiert als die freieste Form menschlicher Transzendenz

Das alles wird im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald gespiegelt, Tafel für Tafel, Figur für Figur des berühmten Altarwerks dienen dazu, das eigene Leben zu deuten bis in den letzten Fingerzeig hinein. Ein Lob der Kunst, als die freieste Form menschlicher Transzendenz.

Staunen kann man ebenfalls darüber, welchen Einfluss die Künstler einmal auf den Glauben der Menschen hatten. In der Bibel sind die Szenen, um die es geht, ganz lakonisch geschildert. Die Maler machen große Ereignisse daraus, mit Einzelheiten, die sie sich ausgedachten und die uns ergreifen. Die Leute glaubten in Wirklichkeit nicht der Bibel, sondern den Gemälden.

Stand
AUTOR/IN
Frank Hertweck