Buch-Tipp

Freudlose Intellektualität: Hans-Joachim Hinrichsens Beethoven-Buch „Musik für eine neue Zeit“

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AUTOR/IN
Dorothea Hußlein

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Ludwig van Beethoven komponierte seine Musik für eine „neue Zeit“. Was er damit gemeint hat, hinterfragt Hans-Joachim Hinrichsen in seinem neuen Beethoven-Buch.

Ludwig van Beethoven – Musik für eine neue Zeit

Dieser Buchtitel, und das weiße Hardcover, über das in puristisch poppigen Buchstaben des Meisters Vor- und Nachname verläuft, weckt die Neugierde. Ludwig van Beethoven packt klanggewaltig, dramatisch, pompös – Menschen aller Generationen – und lässt sie meist nicht mehr los. Bis heute kennt fast jeder seine Melodien und mit seinen Kompositionen hat er neue Maßstäbe gesetzt. Hans Joachim Hinrichsen will in seinem Buch Ludwig van Beethoven – Musik für eine neue Zeit aufzeigen, warum uns Beethovens Musik rund 250 Jahre nach seiner Geburt noch immer bewegt. Und gleich im Vorwort stellt er klar:

Das vorliegende Buch handelt daher in erster Linie von Beethovens Musik, nicht von seinem Leben. Es hält sich aber, ohne eine Biographie sein zu wollen, nach Möglichkeit an die Chronologie. Dabei soll deutlich werden, wie tief diese Musik auf Probleme, Ideen und Themen ihrer Zeit reagiert.“

Einflüsse von Kant und Schiller auf Beethoven

Hans-Joachim Hinrichsen, emeritierter Musikwissenschaftler, zeichnet in zwölf Kapiteln die lebensgeschichtlichen Stationen Beethovens, seine tiefere kompositorische und gedankliche Entwicklung nach. Für grundlegend hält er die Einflüsse von Kant und Schiller auf Beethovens Schaffen.

Kants kritische Moralphilosophie und Schillers darauf reagierende idealistische Ästhetik: Es kann kaum bezweifelt werden, dass gerade diese beiden während Beethovens Bonner Jugend tonangebend gewordenen und nun im Wien der beginnenden Restaurationszeit arg bedrängten Autoren, selbst wenn man voraussetzt, dass er sich den Mühen einer systematischen Lektüre kaum unterzogen haben wird, in das Fundament von Beethovens Weltanschauung eingegangen sind.“

Und über Kants Einfluss auf den nicht unbedingt hochintellektuellen Beethoven spekuliert Hinrichsen im Verlauf des Buches immer wieder.

Warum sollte Beethovens 1806 auf den Titel der Druckausgabe gesetztes „sovvenire di un Grand Uomo“ nicht ebenso gut wie die geplante Komposition Reichardts dem Andenken des 1804 verstorbenen Kant oder – eine kaum weniger naheliegende Möglichkeit des 1805 gestorbenen Schiller gegolten haben?“

Spekulationen und Wiederholungen

Es bleibt bei der Spekulation, denn darüber, wie konkret dieser Einfluss wirklich war, gibt es keine Belege. Das Komponistenporträt mit Kants Gedankenwelt in Beziehung zu setzen ist durchaus interessant, doch wiederholt Hinrichsen teils Bekanntes und argumentiert zu allgemein. Und manchmal verliert er sich in Spekulationen über Beethovens geistigen Hintergrund.

Seine Musik gehört zu jenen Kulturphänomenen, die man mit Recht als epochal charakterisieren darf, und sie markiert in der Musikgeschichte eine ähnliche Zäsur wie in der Geschichte des Denkens der gleichzeitige Aufstieg der kritischen Philosophie Immanuel Kants, die ihn wohl wie mehr, als ihm bewusst war, beeinflusst hat.“

Dass die Zeitgenossen Beethoven und Kant die Musik und die Philosophie jeweils revolutioniert haben, ist nichts Neues. Hinrichsen gelingt aber zu wenig die Einlösung seines Anspruchs, Beethoven auf Kant hin auszudeuten. Denn die seine Ausführungen zum Königsberger Philosophen und zu Beethovens Musikwelt werden nicht schlüssig miteinander verbunden. Sie folgen lediglich hintereinander oder sind parallel gesetzt. Darüber hinaus wird der Leser mit hinlänglich bekanntem biographischem Material zu Beethoven versorgt.

Hinrichsen geht es in seinem Buch auch um eine musikwissenschaftliche Deutung einzelner Kompositionen. So schreibt er beispielsweise zum 5. Klavierkonzert Es-Dur op.73

Hier, im ersten Satz des Es-Dur-Konzerts verweilt die Musik nach dem Verlassen der Tonika lange auf der terzverwandten Stufe ces-Moll/Ces-Dur (offen bleibt, ob es sich hier trotz enormer harmonischer und thematischer Stabilität nur um die Überleitung handelt) und sucht erst spät die erwartete Dominanttonart B-Dur auf.“

Nichtmusikern und Einsteigern dürfte es jedoch schwerfallen, den von Hinrichsen lang ausgeführten Interpretationsanalysen im Detail zu folgen. Und sein Stil mit der Neigung zu Schachtelsätzen macht die Lektüre mühsam. Dies wird bereits in der Einleitung deutlich. Seltsam ist auch, dass sich keine Angaben über den Autor im Buch befinden. Alles in allem gewinnt man den Eindruck, dass das Vorhaben, Beethovens Musik für eine neue Zeit einem breiteren Publikum darzustellen, durch eine eher freudlose Intellektualität des Autors relativiert wird.

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Dorothea Hußlein