Buch-Tipp

„Beethoven und die Liebe“ von Hagen Kunze: Kleines Buch mit einer großen Geschichte

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AUTOR/IN
Desirée Löffler

Das wohl bislang kleinste Buch zum Beethovenjubiläum trägt den Titel „Beethoven und die Liebe“. Es passt bequem in einen Handteller, erzählt aber eine große Geschichte.

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Die Geschichte beginnt, als sie eigentlich schon vorbei ist: Am Anfang von Hagen Kunzes „Beethoven und die Liebe“ betreten zwei Männer die Wiener Wohnung Ludwig van Beethovens. Man schreibt das Jahr 1827, Beethoven ist gerade an einer Leberzirrhose gestorben, und sein älterer Bruder Johann sowie sein ehemaliger Sekretär Anton Schindler sind gekommen, um seine Papiere zu ordnen.

Was beide fanden, ließ ihren Atem stocken: ein Testament, in dem Beethoven all seinen Besitz einer „Unsterblichen Geliebten“ vermachte, sowie einen nur vage datierten zehnseitigen, mit Bleistift geschriebenen Brief aus der Feder des Komponisten an eben jene Dame. Nie zuvor hatten sie so leidenschaftliche Zeilen des Verstorbenen gelesen wie in diesem dreiteiligen Brief, der mit den Worten „Mein Engel, mein alles, mein ich“ beginnt.“

Dieser Brief ist berühmt geworden. Er hat jahrhundertelange Spekulationen befeuert, Romane und sogar einen Hollywoodfilm inspiriert. Kein Wunder. Zum einen zeigt er eine ungewohnt zarte Seite vom Titanen Beethoven.

Guten Morgen am 7ten Juli - schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksaale abwartend, ob es unß erhört".

Zum anderen gibt Beethovens Brief an die Unsterbliche Geliebte eine ganze Batterie von Rätseln auf: Wann und wo ist er genau entstanden, warum lag er in Beethovens Schreibtisch, und nicht im Nachtkästchen der Empfängerin – und vor allem: Wer ist die Dame überhaupt?

Immerhin die ersten Fragen sind mittlerweile einigermaßen zweifelsfrei geklärt, schreibt Hagen Kunze: Beethoven muss den Brief im Juli 1812 in Teplitz geschrieben haben, wo er zur Kur weilte. Anders ist es bei dem Rätsel um die Identität der Unsterblichen Geliebten, über das sich schon Beethovens Weggefährten den Kopf zerbrachen.

Die Beschäftigung der Nachwelt mit dem Thema beginnt mit Anton Schindler, der nach Beethovens Tod den Brief ebenso wie den großen Teil der Konversationshefte des tauben Komponisten an sich nahm. Dass Schindler zahlreiche Einträge in den Heften gefälscht hatte, um seine eigene Rolle rühmend hervorzuheben, konnte in den 1970er Jahren anhand von Schriftproben nachgewiesen werden. Auch im Falle des Briefes an die Unsterbliche Geliebte legte er eine falsche Fährte. […] Julie Guicciardi, Widmungsträgerin der heute als „Mondscheinsonate“ bekannte Sonata quasi una Fantasia, sei die Adressatin des Briefes.“

Julia Guicciardi ist die erste von fünf Kandidatinnen, die Hagen Kunze in „Beethoven und die Liebe“ vorstellt; da wären außerdem Therese Malfatti, Bettina und Antonie Brentano und Josephine von Brunsvik. Er porträtiert jede der Damen, beschreibt ihr Verhältnis zu Beethoven und beurteilt dann, wie wahrscheinlich es ist, dass es sich jeweils um die Unsterbliche Geliebte handelt.

Da Julie Guicciardi nach ihrer Hochzeit 1803 nach Neapel zog und Beethoven nie wieder traf, scheidet sie als mögliche Empfängerin des 1812 verfassten Briefes aus.“

Dass Hagen Kunze seine Meinung durchweg so deutlich sagt, ist sicher einer der Gründe, warum die 120 Seiten von „Beethoven und die Liebe“ nur so dahinfliegen, spannend wie ein musikwissenschaftlicher Miniatur-Krimi. Und wie es sich für einen solchen gehört, gibt es am Ende auch eine „Auflösung“ - oder doch zumindest eine handfeste Theorie.

Streicht man systematisch unter allen Frauen um Beethoven jene heraus, die nicht als Adressatin des Briefes in Frage kommen und legt für die Verbleibenden alle zur Verfügung stehenden Indizien auf den Tisch, so bleibt eigentlich nur Josephine von Brunsvik übrig.“

Für diese These bringt Kunze viele gute und wissenschaftlich belegte Argumente vor. Gelegentlich aber verteidigt er seine Version der Ereignisse einen Hauch zu enthusiastisch. Zum Beispiel schreibt er, Beethoven und die Unsterbliche Geliebte hätten laut Brief eindeutig eine Nacht zusammen verbracht, ohne das jemals zu belegen. Und die Behauptung, Beethoven wäre unter keinen Umständen ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau eingegangen, untermauert er folgendermaßen:

Einige Jahre später, als der eifersüchtige Ehemann einer jungen Klavierschülerin Beethoven mit allerlei Vorwürfen konfrontierte, rechtfertigte sich der Komponist, er könne niemals „in einem anders als Freundschaftlichen Verhältnis mit der Gattin eines andern stehn.“

Dabei wäre es durchaus möglich, dass der Komponist mit diesem Brief schlicht seinen Kopf aus der Schlinge ziehen wollte. Dass es in „Beethoven und die Liebe“ eine Handvoll solcher schwer nachvollziehbarer Schlussfolgerungen gibt, ist ein bisschen schade. Verständlich ist dagegen, dass Hagen Kunze einige unwahrscheinliche Kandidatinnen für die unsterbliche Geliebte unter den Tisch fallen lässt: Das tut dem Lesefluss gut, und auf den kommt es letztlich an.

Schließlich ist Kunzes Buch keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine handliche Lektüre für zwischendurch. Als solche verstanden ist das kleine Bändchen auch trotz allem ausgesprochen lesenswert: um in der Straßenbahn oder im Wartezimmer für ein halbes Stündchen in eine andere Welt einzutauchen, oder um Krimi-Fans und hoffnungslosen Romantikern einen neuen Zugang zu einem der größten Komponisten aller Zeiten zu ermöglichen.

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Desirée Löffler