Zeitwort | 100. Geburtstag von Wolfgang Borchert

13.2.1947: Im Radio kommt das Hörspiel „Draußen vor der Tür“

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AUTOR/IN
Uta-Maria Heim

In nur acht Tagen hatte Wolfgang Borchert das Drama um den Kriegsheimkehrer Beckmann geschrieben. Die Hörer*innen waren erschüttert. Am 20.5.2021 wäre Wolfgang Borchert 100 Jahre alt geworden.

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„Ein Mann kam nach Hause, verhungert, erfroren, liegengeblieben im 20. Jahrhundert, im 5. Jahrzehnt auf der Straße in Deutschland.“

Wolfgang Borchert war Pazifist. Als Soldat kam er in Haft – die drohende Todesstrafe wurde in sogenannte Frontbewährung umgewandelt.

Borchert war noch keine 24 Jahre alt, als er bei Kriegsende todkrank in seine Heimatstadt Hamburg zurückkehrte; an die ersehnte Karriere als Schauspieler und Kabarettist war nicht mehr zu denken.

Er wurde bald bettlägerig, und ihm blieb nichts, als in fieberhafter Eile zu schreiben: Dramen, Gedichte, Kurzgeschichten. Ohne es freilich zu ahnen, begründete Borchert die Trümmerliteratur. In der „Hamburger Freien Presse“ erschien im Frühjahr 1946 seine erste Veröffentlichung, die Erzählung „Die Hundeblume“.

„Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“

Wann genau er „Draußen vor der Tür“ schrieb, ist nicht bekannt. Überliefert hingegen wurde: Er hat den Text innerhalb einer Woche vollendet. An einen Bühnenerfolg hat Borchert selbst nicht geglaubt. Deshalb wählte er programmatisch als Untertitel: „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“.

Der Beifall blieb auch tatsächlich vergleichsweise verhalten, denn für die Bühne gab es zu wenig Handlung. Das Stück lebte vom gesprochenen Wort — schon deshalb waren die Dramaturgen des NWDR, des Nordwestdeutschen Rundfunks, sofort begeistert. Sie inszenierten „Draußen vor der Tür“ umgehend. Am 13. Februar 1947 wurde das Hörspiel urgesendet.

„Als ich jetzt nach Hause kam, da war ein Bett,
mein Bett war besetzt,
dass ich mir nicht das Leben nahm,
das hat mich selbst entsetzt.“

Russlandheimkehrer Beckmann – gezwungen, weiter zu leben

Das Hörspiel erzählt die Geschichte des Russlandheimkehrers Beckmann. Nach drei Jahren in sibirischer Gefangenschaft kommt er nach Hause und findet seine Frau in den Armen eines fremden Mannes. Da beschließt er, ins Wasser zu gehen. Doch die Elbe schickt ihn zurück ans Ufer.

Beckmann ist gezwungen weiter zu leben, aber alle seine Versuche, Fuß zu fassen, misslingen. Er wird als Krüppel verhöhnt und bekommt keine Arbeit. Als er erfährt, dass seine Eltern sich das Leben genommen haben, will er sein eigenes mit aller Macht beenden.

Als Krüppel verhöhnt, arbeitslos

Daraufhin begegnet er dem „Anderen“, einer guten Kraft in sich, dem „lieben Gott“ und dem Tod. Auch seine „Mörder“ trifft er im Traum nochmals wieder. Als er aufwacht, erkennt er, dass Selbstmord keine Lösung darstellt; dass er verpflichtet ist, ganz allein weiter zu leben, vom Schicksal verraten. Keiner hört ihm noch zu, keiner gibt ihm mehr Antwort.

„Wo seid ihr denn alle? Warum redet ihr denn nicht? Gebt doch Antwort. Warum schweigt ihr denn? Warum?“

Wahrscheinlich hat Ruth Malchow das Manuskript an den NWDR gegeben. Sie war die Gründerin der Hamburger „Kleinen Komödie“ und arbeitete als Freie beim Sender in der Rothenbaumchaussee. Die Dramaturgen und Regisseure in der Hörspielabteilung, darunter Otto Kurth, Ludwig Cremer, Gustav Burmester, Fritz Schröder-Jahn und Günther Schnabel, suchten engagiert nach „Zeitstücken“ der „jungen Generation“.

Kein anderes Nachkriegshörspiel sollte die Hörerschaft mehr bewegen

Der Legende nach ist Ernst Schnabel, der Chefdramaturg, umgehend zu Borchert gefahren, um die Hörspielfassung anzuschieben. „Auf dieses Stück haben wir gewartet oder vielmehr genauer: auf diesen Autor“, schrieb Schnabel in der Programmzeitschrift „Hör Zu!“.

Die „breite und erschütternde Wirkung“, die sich Schnabel erhoffte, trat tatsächlich ein. Viele Sender übernahmen das Stück. Kein anderes Nachkriegshörspiel sollte die Hörerschaft mehr bewegen als das aufwühlende Drama um den verlorenen Russlandheimkehrer Beckmann.

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Uta-Maria Heim